Klangwelten einer Geisterstadt

EXKURSION Zu zwei Dritteln lebt das dänische Trio Efterklang in Weißensee. Sein neues Album ist dort in einem Studio entstanden. Es fußt auf Feldaufnahmen aus dem Hohen Norden

Für Elfterklang ist die Exkursion nach Piramida vor allem zum mentalen Rückzugsort geworden

VON STEPHANIE GRIMM

Eisbären, Ruinen und ein Konzertflügel, auf engstem Raum. Wo man das findet? In Piramida, einer ehemaligen Bergarbeitersiedlung auf der von Norwegen verwalteten Inselgruppe Spitzbergen. Einen Teil des Gebiets hatte Norwegen 1920 an die Sowjetunion abgetreten, und so entstand eine kommunistische Enklave. Ein halbes Jahrhundert lang förderten tausend Arbeiter am Polarkreis Steinkohle, bis Piramida 1998 aufgegeben wurde. Die Arbeiter reisten fast über Nacht ab, Wohnungseinrichtungen und andere Zivilisationsreste blieben zurück: reichlich Industriemüll, aber auch ein Konzertsaal für 400 Zuhörer, in dem der schon etwas verstimmte Flügel steht. Seither erobert sich die Natur das Gebiet zurück, heute gibt es dort mehr Eisbären als Menschen. Die paar Versprengten, die derzeit in Piramida leben, sollen das Gebiet für den Tourismus erschließen.

An den Polarkreis

Die dänische, mittlerweile zu zwei Dritteln in Berlin ansässige Kammerpop-Band Efterklang hat diesen Zustand für die Nachwelt in Klang (und ein paar Videos) gegossen. Für die Arbeit an ihrem neuen, dem vierten, Album, „Piramida“, reisten Sänger Casper Clausen, Elektronikbastler Mads Christian Brauer und Bassist Rasmus Stolberg an den Polarkreis, machten Field Recordings, dokumentierten die Klangwelten dieser Geisterstadt.

Erst wurden die Samples von dem Tüftler Brauer digital nachbearbeitet, dann bastelten er und Clausen aus den Sounds sphärische Songs: Aus einem Lampenschirm aus Glas, den die Band in einer der verlassenen Wohnungen fand, wurde das hohl klingende Motiv von „Told to Be Fine“, aus dem Klang, den Schläge auf einen Benzintank erzeugen, ein Perkussionsinstrument.

Und natürlich findet sich auch der Flügel auf dem Album wieder, als synthieartiger Sound im dahinschwebenden Song „Apples“. Brauer und Clausen sind die Songschreiber der Band und arbeiten in ihrem Studio in Weißensee an Songs, Rasmus Stolberg dagegen lebt nach wie vor in Kopenhagen, liefert Feedback zu ihren Ideen und kümmert sich ums Management.

„Piramida“ klingt, in Anbetracht der Mühen, mit denen diese Sounds gesammelt wurden, überraschend zugänglich: Dass man die Klänge allesamt in Berlin, teils sogar im Studio, hätte finden können, gibt Clausen, der die Band beim Interview im Hinterzimmer eines Hostels vertritt, unumwunden zu. Für Efterklang ist Piramida vor allem zum mentalen Rückzugsort geworden, zur Orientierung während der neun Monate, die sie im Anschluss im Studio verbrachten: „Umgekehrt hätte es nicht funktioniert. Wir hätten nicht sagen können: Jetzt erfinden wir Geisterstadtmusik. Wir brauchten die reale Erfahrung an diesem Ort.“

Vor allem aber steht die Reise für die Band für einen veränderten Arbeitsansatz, den die von ehemals fünf auf drei Mitglieder geschrumpfte Band für sich entdeckt hat. Auf früheren Alben transportierten die mal mehr, mal weniger elektronischen, aber immer orchestralen Songs von Efterklang – und erst recht ihre zirkusartigen Bühnenshows, bei denen ein gutes Dutzend Musiker Klangschicht über Klangschicht legten – vor allem einen Gedanken: Alles ist möglich.

Clausen blickt zurück: „Wir hatten Spaß an der Idee, dass es keine Grenzen gibt. Gebt uns einen Harfenspieler, einen Organisten und hundert Leute, die gleichzeitig auf den Boden stampfen! Bevor wir uns an ein Album machten, gab es zahllose Soundskizzen, die wir verbinden wollten. Heute sind wir fokussierter. Als wir uns diesmal an die Arbeit machten, hatten wir nichts – und sind auf diese Reise gegangen.“

Zwar haben Clausen und Brauer ihre gesammelten Audioschnappschüsse stark bearbeitet, doch gibt es auf dem Album – auch bei den Einlagen der Gastmusiker, etwa des Berliner Pianisten Nils Frahm – keinen Ton, der sich nicht irgendwie auf Piramida bezieht, erklärt Clausen. „Es fühlte sich folgerichtig an, sich auf eine Sache zu konzentrieren.“ Und tatsächlich: Dieser etwas reduzierte, minimalistische Ansatz tut dem Efterklang-Sound gut.

Die Songs wirken luftiger, weniger überfrachtet und sind dadurch einprägsamer. Clausens Stimme ist präsenter und wird, wie schon auf früheren Alben, eher als Instrument denn zur Übermittlung von Text eingesetzt: „Mein Gesang soll den Hörer in unsere Songs hineinziehen. Wir Menschen sind genetisch so programmiert, die Stimme unter Tausenden von Geigen herauszuhören. Damit arbeite ich.“ Dieser Gesangsstil hat der Band oft Vergleiche mit anderen Bands aus dem hohen Norden eingebracht, mit den Isländern von Sigur Rós etwa.

Doch auch wenn die Arbeit an „Piramida“ die Band an den Polarkreis geführt hat – Efterklang verorten ihre pophistorischen Einflüsse in Mitteleuropa. „Was uns Ende der neunziger Jahre angeregt hat, Musik zu machen, waren die Einstürzenden Neubauten, Radiohead oder Mouse in Mars.“ Es passt also, dass die Band ihr Lager in Berlin aufgeschlagen hat, auch wenn sie sich für dieses Album von den Weiten des Nordens anregen ließ.

■ Efterklang „Piramida“ /4AD/ Beggars Group/Indigo)