Streit über den Rückzug aus dem Irak

Angesichts der weiter steigenden Opferzahlen im Irak entbrennt in den USA eine neue Debatte über einen möglichen Abzug. Der Präsident will davon nichts wissen: Erst müsse der Job erledigt sein. Was das heißt, weiß niemand genau

BERLIN taz ■ In den USA nimmt die Debatte über einen möglichen Truppenabzug aus dem Irak und den richtigen Zeitpunkt dafür schärfere Konturen an, auch über die Parteigrenzen hinweg. Bislang war es, trotz wütender Proteste einer ganzen Reihe den Demokraten nahe stehender Friedensaktivisten, auch unter demokratischen Senatoren weitgehend Konsens gewesen, sich nicht auf Zeitpläne einzulassen. Stattdessen sollte,wie es auch Präsident George W. Bush ein ums andere Mal formulierte, zunächst „der Job erledigt“ sein, um dann abziehen zu können.

Nur: Ganz klare Kriterien dafür, wann denn der Job als erledigt anzusehen sei, hat auch die Regierung bislang nicht definieren können. In den letzten Monaten hieß es als Antwort auf diese Frage stets, es käme darauf an, die neuen irakischen Armee- und Polizeikräfte ausreichend trainiert und installiert zu haben, damit sie die Bekämpfung des Aufstands selbst übernehmen könnten. Das aber ist nicht nur ein Eingeständnis, dass dieser Kampf gar nicht zu gewinnen ist und lässt für den Irak nur die Perspektive Bürgerkrieg offen. Es ist zudem völlig unklar, wann es denn tatsächlich so weit sein könnte – die Ausbildung der neuen Einheiten kommt, wie beteiligte Offiziere immer mal wieder unter der Hand zugeben, nur überaus langsam voran.

Ein General, der 2003 an der Eroberung Bagdads beteiligt war, hält diese Zieldefinition zudem für viel zu kurz gegriffen. Es reiche nicht, Iraker zum Kampf auszubilden, schrieb Generalmajor Peter W. Chiarelli in einem Essay für die Zeitschrift Military Review. „Wenn man nichts weiter tut, als Böse zu töten und anderen beizubringen, auch Böse zu töten, dann erreicht man damit nur, bislang neutrale Leute zu Aufständischen zu machen“, kritisiert Chiarelli. Er fordert, die US-Armee müsse sich stärker am wirtschaftlichen und infrastrukturellen Wiederaufbau beteiligen, Arbeitsplätze schaffen und die irakischen Kommunalverwaltungen stärken.

Gleich in einer ganzen Artikelserie hat sich die Zeitschrift (www.leavenworth.army.mil/milrev/index.htm) bemüht, die Erfahrungen der US-Armee mit Aufstandsbekämpfung und Nachkriegsverwaltungen auszuwerten. Das Ergebnis fast aller Autoren: Die Konzentration auf die militärische Bekämpfung des Feindes ist der falsche Weg, Förderung der Lokalverwaltung und die Unterstützung der Zivilbevölkerung gelten als mögliche Schlüssel zum Erfolg.

Davon sind die US-Truppen im Irak trotz des mit den Wahlen initiierten demokratischen Prozesses noch recht weit entfernt. Die Anzahl der Anschläge und die der Opfer steigt ständig weiter – auf Seiten irakischer Zivilisten und US-amerikanischer Soldaten. Es war jetzt der Senator Chuck Hagel aus Nebraska, der als einer der ersten führenden Republikaner den Sinn der US-Präsenz im Irak öffentlich in Frage stellte: „Je länger wir bleiben, desto mehr Probleme werden wir bekommen,“ sagte Hagel, selbst Vietnamveteran, im Sender ABC.

Während er damit auf republikanischer Seite klar in der Minderheit ist, streiten sich die demokratischen Senatoren derzeit offen über die richtige Position. Senator Russell Feingold war der Erste, der vorschlug, alle US-amerikanischen Soldaten sollten bis zum 31. Dezember 2006 den Irak verlassen haben. Der frühere demokratische Senator Max Cleland ergänzte, es sei „Zeit für eine Siegstrategie im Irak oder eine Strategie zum Abzug“.

Die Demokraten, fordert Feingold, müssten das Thema endlich offensiv angehen und aller Welt zeigen, dass sie „keine Angst haben, zu widersprechen“. Diese Erkenntnis kommt zu einem Zeitpunkt, da die öffentliche Meinung über den Irakkrieg laut den Umfragen am Umschwenken ist. Sowohl der Krieg als auch Präsident Bush selbst bewegen sich derzeit bei Zustimmungsraten deutlich unter der 50-Prozent-Grenze – immer noch besser als die Demokraten allerdings, deren Rolle von gerade einmal 42 Prozent der Befragten einer von Washington Post und ABC News in Auftrag gegebenen Umfrage gelobt wird.

Die Öffentlichkeit ist verunsichert, der Präsident seit Wochen in den Ferien auf seiner Ranch, belagert von der Mutter eines im Irak getöteten Soldaten und mobilisierten Friedensaktivisten. Und im nächsten Jahr finden Zwischenwahlen statt, von denen sich nicht nur die Demokraten positive Verschiebungen im Kongress erhoffen, sondern die auch in beiden Lagern als Vorkämpfe für die Kandidatensuche 2008 gelten. Irak dürfte auch dann noch ein Thema sein.

BERND PICKERT

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