Nils Schuhmacher Hamburger Soundtrack: Wieso es schwer fällt, zwischen „Bella Ciao“ und „Bella Ciao“ zu unterscheiden
Hinter der Wand eines von mir regelmäßig aufgesuchten Proberaums probt eine Band. Wie sie sich durch Punk- und Ska-Gebiete, Midtempo- und „Abgeh“-Parts arbeitet, könnte man sie etwas spitz als „Operation Ivy für Arme“ bezeichnen.
Zum Repertoire dieser Band gehört der Song „Bella Ciao“, im Original von DJ Ötzi. Eingeweihte, zum Beispiel aus der Redaktion des SWR-Jugendradios „Das Ding“, haben in Erfahrung gebracht, dass der „Track“ in der Originalversion einen „heftigen Text“ hatte. In der Version von DJ Ötzi geht es dem Künstler zufolge um die „globale Situation“, die er mit einer guten Feier bewältigt sehen will. Im Original geht es um eine sehr spezielle Situation (Faschismus) und den Kampf dagegen (Gewalt). Hier möchten die einen der Band (die das Original covert) gern ein paar Pluspunkte aufs Konto überweisen. Andere hingegen möchten den Telefonhörer nehmen, um das Landesamt für Verfassungsschutz zu informieren.
Sie würden sicher auf ein gewisses Interesse stoßen, wenn sich das Ganze nicht in Hamburg-Horn, sondern zum Beispiel in Limbach-Oberfrohna abspielen würde. Das sächsische Landesamt hat jüngst eine Liste „linksextremistischer“ Bands im Bundesland in Umlauf gebracht (11 Stück). Darüber hinaus vermeldete man die Zahl von einschlägigen Konzerten in 2018 (ca. 40).
Die Kriterien sind vielleicht ein bisschen undurchsichtig. Man muss sich das Ganze wohl vorstellen als ein durchgehendes Schwanken und Abwägen, ein: „Es sich nicht leicht machen“. Und dass es schwierig ist, heute zwischen DJ Ötzi und Operation Ivy, „Bella Ciao“ und „Bella Ciao“ zu unterscheiden, das ist ja nun auch klargeworden. Trotzdem muss in Erinnerung gerufen werden, dass jedes Ding von mehreren Seiten betrachtet werden kann. Mit völlig unterschiedlichen Ergebnissen. Das gilt auch jenseits der Politik.
Die einen kommen zum Beispiel in Bezug auf „Karies“ zu dem Befund: „betrifft besonders Jugendliche aus sozial schwachen Familien“ (Hamburger Morgenpost). Die anderen finden, dass Sätze wie „Die Spuren verlieren sich: der Mutterleib, die Brust und die Summe all der Dinge, die anders sind als erwartet“ des Sängers Max Nosek wohl eher auf andere Hintergründe schließen lassen. Einfach mal nachbohren. Die Band „Karies“ tritt zum Beispiel am 23. Februar in Hamburg (Molotow) und am 22. März in Chemnitz (Nikola Tesla) auf.
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