Hilflos im Sturm des wilden Ozeans

Borussia Dortmund gerät bei Tottenham schon im Hinspiel der Königsklasse weit ins Hintertreffen und erinnert an vermeintlich überwundene Zeiten

Bitter: Achram Hakimi läuft dem Geschehen hinterher. Torschütze Jan Vertonghen profitiert davon Foto: reuters

Aus London Daniel Theweleit

Roman Bürki war von einem Gefühl der Verblüffung, der Bewunderung, des Schreckens erfüllt. „Diese physische Präsenz“, staunte der Torhüter von Borussia Dortmund nach dem 0:3 (0:0) bei Tottenham Hotspur, als er nach den Hintergründen dieser fatalen Niederlage gefragt wurde. Es sei „ein Riesenunterschied, wie die aussehen und wie unsere Spieler aussehen“, stellte der Schweizer fest. Gegen die wuchtigen Typen aus der Premier League hätten seine Mitspieler permanent „Fiftyfifty-Zweikämpfe verloren“, fuhr Bürki fort, „das gibt dann auch noch mal einen Schlag“.

Mit jedem verlorenen Duell schrumpfte der einstmals so wunderschön strahlende BVB ein Stück weiter, und in der zweiten Hälfte gingen die Dortmunder unter, wie ein Paddelboot, das versehentlich in den Sturm eines wilden Ozeans hineingeraten ist: hilflos, naiv, unbekannten Kräften ausgeliefert.

Dieser Abend von Tottenham, der im Rückspiel nun ein mittelschweres Wunder erforderlich macht, um noch das Viertelfinale der Champions League zu erreichen, kann als Rückfall in die schwierige Vorsaison betrachtet werden. Auch damals fiel das schwarz-gelbe Kons­trukt nach dem ersten Gegentor regelmäßig in sich zusammen. In London hatten sie eine Halbzeit ganz gut mitgehalten und eine gut Balance zwischen defensiver Stabilität sowie mutigen Momenten im Spielaufbau gefunden. Doch das 1:0 von Heung-Min Son unmittelbar nach der Pause raubte ihnen alle Zuversicht. Selbst der in der Hinrunde noch als großer Stabilisator gefeierte Axel Witsel fand keinen Zugriff mehr auf das Spiel, der BVB sei „nicht abgebrüht genug“ gewesen, die Mannschaft habe „sich ergeben“, viele Spieler seien „untergetaucht“, sagte Sebastian Kehl, der Leiter der Lizenzspielerabteilung. Ein vernichtendes Urteil zu einer Team, das im Sommer explizit mit dem Vorsatz kons­truiert wurde, genau solche Einbrüche zu vermeiden.

Immer deutlicher wird, wie sehr Marco Reus fehlt, dessen Unnachgiebigkeit während der Hinrunde die Mannschaft so prägte. Der Kapitän wird auch im nächsten Bundesligaspiel in Nürnberg ausfallen. Aber vielleicht haben die Dortmunder noch einen anderen Aspekt unterschätzt: Diese Mannschaft, die sich im Wembley überrollen ließ, hat möglicherweise zu wenig Erfahrung im Umgang mit K.o.-Spielen auf diesem Niveau. Für die zentralen Mittelfeldspieler Thomas Delaney, der sich wenigstens wehrte, und Mahmoud Dahoud, war es das erste Achtelfinale in der Königsklasse überhaupt, Witsel stand zwar schon zum vierten Mal in dieser Runde, weitergekommen ist er aber nur ein einziges Mal. Selbst für den an diesem Abend erstaunlich passiven Trainer Lucien Favre handelt es sich um den Besuch in einer völlig neuen Welt, ganz zu schweigen von jungen Leuten wie Dan-Axel Zagadou, Jadon Sancho oder Achraf Hakimi, der die Dortmunder Krisenwochen verkörpert wie kein anderer.

Die Mannschaft habe „sich ergeben“, viele Spieler seien „untergetaucht“, sagte Teammanager Sebastian Kehl

Schon in den drei sieglosen Partien in Bundesliga und DFB-Pokal unterliefen dem Marokkaner folgenschwere Fehler. In London verlor er den Ball vor dem 1:0 tief in der eigenen Hälfte, vor dem 2:0 durch Jan Vertonghen erkannte er die Gefahr einen Moment zu spät. „Achraf hatte heute sicher nicht seinen besten Tag, aber es war nicht allein sein Verschulden, dass wir hier 3:0 verloren haben“, versuchte Kehl den jungen Profi in Schutz zu nehmen. Nach dem Duschen schlich Hakimi traurig zum Mannschaftsbus. Es ist eine schwere Zeit, die die Leihgabe von Real Madrid in diesen Winterwochen durchstehen muss. Wochen, in denen sehr viel kaputt zu gehen droht, auch wenn Mario Götze, der Ersatzkapitän, die interessante These vertrat, „nur Kleinigkeiten“ müssten verändert werden, um wieder diese großartige Mannschaft des vergangenen Herbstes zu werden. Er meinte wohl die Vermeidung der Fehler, die zu den Toren führten. Erfahrung aber, Mentalität und Krisenresistenz sind keine Kleinigkeiten in der Königsklasse.

Götze wählte offenbar bewusst die Strategie der Deeskalation, und auch Favre versuchte der zunehmenden öffentlichen Hysterie mit demonstrativer Gelassenheit zu begegnen: „Ich mache mir keine Sorgen, solche Phasen gibt es in jeder Saison“, sagte der Trainer, der dennoch ziemlich mitgenommen wirkte.