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Das Kragende und Ragende

Heinz Emigholz verfilmt seit Jahren Architektur unter dem Titel „Photographie und jenseits“. Auf der Berlinale ist mit „Years of Construction“ Folge 29 zu sehen

In „Years of Construction“ durchquert die Kamera fünf Jahre der Konstruktion Foto: Foto:Heinz Emigholz Filmproduktion

Von Ekkehard Knörer

Mannheim, 2013. Heinz Emigholz stellt seine Kamera auf, im Freien und drinnen, der Schnitt springt lebendig, geschmeidig und ohne System. Umspielt wird in den statischen Einstellungen die Kunsthalle der Stadt. Noch stehen da der alte Jugendstil-Sandsteinbau von 1907 und der sich recht nahtlos daranfügende Erweiterungstrakt, vorne zum Friedrichsplatz hin, 1983 eröffnet. Bald gab es Probleme damit, auch der Kunstlager-Tiefbunker für die Einlagerung war mangelhaft, die erwogene Sanierung wurde verworfen, ein Neubau geplant, 2014 begonnen, 2018 beendet. Nun steht er da. Heinz Emigholz hält den alten Stand, den Abriss und den Neubau Bild für Bild fest – eine Auftragsarbeit der Kunsthalle und der sie tragenden Stiftung: Film-Kunst am Bau sozusagen.

Heinz Emigholz verfilmt seit vielen Jahren Architektur, in einer Serie, die den Titel „Photographie und jenseits“ trägt. „­Years of Construction“ hat die Seriennummer 29, im Lauf der Jahre sind viele tolle Filme entstanden, teils einzelnen Architekten gewidmet, Filme, die sich dem gebauten Raum aus vielen Positionen und Winkeln nähern und vor Augen führen, was es heißt, Räume zu gestalten. Und natürlich sind Emigholz’ Filme selbst Gestaltung, die dem schon gestalteten Raum Form gibt, sie sind in jeder Abbildung Konstruktion, die sich der Position, der Auswahl des Rahmens, des Ausschnitts, der eigenen Haltung und Stellung verdankt.

Reizvoll sind die Filme von Emigholz darum vor allem dann, wenn man sich für Inhalt und Form zugleich und in ihrer Verschränkung interessiert; für einerseits das, was sich dokumentarisch im Bild zeigt, und andererseits dafür, wie sich beim Zeigen fast schon abstrakte Formen ergeben. Im Bild jeweils selbst, aber auch in den Rhythmen des Schnitts, der das vermeintlich Statische der Architektur verlebendigt, indem sich die Kamera dank der Montage als Subjekt-Apparat durch die Räume bewegt.

Sehr wohl geht es dabei, und in „Years of Construction“ ganz besonders, auch um den um­gebenden Raum. Der Ort der Architektur ist nie nur der Bau, kein Haus steht für sich, es gehört das, was daneben steht und nicht steht, es gehören der Block, das Quartier, die ganze Stadt und auch die Straßen und Wege hinein und herum mit dazu. So lässt Emigholz seine Kamera und seinen Kamerablick von der Kunsthalle weg in und durch Mannheim wandern, in die Fußgängerzone, auf die Straßenbahntrasse, in Cafés, ganz nah an andere Bauten, Oberflächen sowohl als auch Strukturen der Stadt.

Stärker als sonst interessiert ihn diesmal die Zeit: Schließlich durchquert der Film fünf Jahre der Konstruktion. Das Festhalten des vorigen Zustands, die Verortung des Baus in der Stadt und auch der Abriss: Es macht eher den Eindruck, dass Emigholz das eher pflichtgemäß dokumentiert, Anwendung der Methode Emigholz sozusagen. Ganz zu sich aber kommt der Film, wenn er sich auf den entstehenden Neubau fokussiert. Die Architektur von Gerkan, Marg und Partner kommt dem durchaus entgegen. Es entsteht ein kanten- und durchblicke­reicher Betonbau mit aus der Eigenstruktur heraus wenig Subtilität. Die aber trägt der Film doch hinein oder holt sie heraus, indem er das Kragende und ­Ragende, Säulen, Wände und Blöcke Einstellung für Einstellung gegeneinander verschiebt.

Auf faszinierende Weise ändert sich viel merklicher nun die Anmutung des Raums durch Positionierung und Haltung, durch das Spiel mit den Parametern von Nähe und Ferne, des Ausschnitts, der Winkel, von Geraden und Schrägen. Man staunt, wie Licht und Schatten sich je anders verteilen, wie hier eine halbe Wand in den Weg tritt, wo da noch der Blick ungetrübt war. In diesen Teilen gefällt sich „­Years of Construction“ ziemlich ausdrücklich in der Annäherung ans Abstrakte.

Dann aber kommen wieder Menschen ins Bild. Arbeiter erst, dann die Besucher. Der Bau wird belebt. Der Wiedereinzug der Kunst in die Räume, die den ausgestellten Werken Bühnen bereiten, zu denen die Kamera sich ihrerseits positioniert und auch das Bereiten der Bühnen noch einmal vorführt. So, in den Montage-Abfolgen, kommt die Zeit in den Raum. Es ist allerdings ein Zeitbegriff, der ganz an der Abfolge jeweiliger Gegenwart hängt. Es gibt eine Struktur, keine Erzählung. Es gibt auch nichts anderes als den Originalton zum Bild. Kein Kommentar fügt, was man hört und sieht, noch einmal anders. Emigholz’ Filme nehmen Raum, Zeit und Bau auseinander. Zusammenreimen muss man sich das alles, das ist Teil ihres Reizes, dann wieder selber.

„Years of Construction“ (D 2019): Berlinale Forum, 11.–16. 2., verschiedene Orte

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