Liebhaber zu Geschäftsleuten

HERZBLUT Die Alternativkultur lebt von Leuten, die ihre brotlose Leidenschaft zum Beruf machen und Läden aufmachen, um ihre Passion zu teilen: Liebhaber von kruder Musik, trashigen Filmen oder absurden Comics

■ Core Tex: coretexrecords.com, Oranienstr. 3, 10997 Berlin, Tel. (0 30) 61 28 00 50, Mo.–Fr. 11–19 Uhr, Sa. 11–16 Uhr.

■ Videodrom Verleih: www.videodrom.com/verleih, Friesenstr. 11, 10965 Berlin, Tel. (0 30) 6 92 88 04, Mo.–Fr. 14–23 Uhr, Sa. 12–24 Uhr und So. 16–22 Uhr.

■ Videodrom Shop: www.videodrom.com/verkauf.html und videodromshop.blogspot.com Oranienstr. 195 , 10999 Berlin, Tel. (0 30) 61 28 72 23, Mo.–Fr. 12–19 Uhr und Sa. 12–18 Uhr.

■ Comicbibliothek Renate: www.renatecomics.de, Tucholskystr. 32, 10117 Berlin, Tel. (0 30) 97 00 58 16, Mo.–Mi. 14–20 Uhr, Fr. 14–19 Uhr und Sa. 13–18 Uhr.

VON OLE SCHULZ

Es gibt alles, was das Punkerherz begehrt: alte und neue Punk- und Hardcore-CD s und -Platten, schwarz gestylte T-Shirts – eins der beliebtesten trägt einen „KRZ BRG“-Aufdruck im Run DMC-Schriftsatz –, DVDs wie „Punk im Dschungel“ über Punk als Jugendbewegung in Indonesien und sogar Bücher – von „Ich, Shithead. Mein Leben als Punk“ vom Sänger der Band D.O.A. bis zum Kochbuch des Fanzines Ox über „Moderne vegetarische Küche für Punkrocker“.

Wer früher selber Bands wie Bad Brains und Fugazi gehört hat, für den ist der Besuch bei „Core Tex“ in der Oranienstraße wie eine Zeitreise. „Wir überleben, weil wir eine kleine Nische besetzen“, sagt David Strempel, einer der drei Core-Tex-Inhaber. Vor der Tür sitzt „Atze“, der Sänger der legendären „Troopers“, und trinkt mit einem Kumpel Bier. Der glatzköpfige, massige Atze hat eine Erscheinung, die man leicht als furchteinflößend empfinden kann. Ohne ihn würde es Core Tex vielleicht aber gar nicht mehr geben, sagt Mitinhaber David. „Mehrere 10.000 Produkte haben wir im Laufe der Jahre von den Troopers verkauft.“

Der 42-jährige David ist selber mit den Platten groß geworden, die er in seiner Jugend bei Core Tex erstanden hat. Er spielte als Schlagzeuger in Punk-Bands wie „Fehlgeburt“ und stieg dann 1996 bei Core Tex ein. Der Laden ist längst eine Institution. Seit der Eröffnung 1988 hat Core Tex ganze Heerscharen von Punkerkids aus der Stadt und von außerhalb musikalisch sozialisiert.

Dabei stand das Geschäft Mitte der 90er Jahre schon einmal kurz vor dem Bankrott, bis man mit „Fun Records“ fusionierte. Der Neuanfang gelang, nicht zuletzt weil ein Mailorder aufgebaut wurde, der neben Musik auch allerlei Merchandising-Produkte führt. Daneben leistet sich Core Tex den Luxus, drei kleine Musiklabels zu unterhalten, sogar Agnostic Front haben dort Musik veröffentlicht. Doch angesichts der Konkurrenz durch Majorlabel und die Download-Kultur im Internet mache man damit keinen Gewinn mehr, sagt David. „Geschäftlich am wichtigsten ist für uns heute der Laden.“

David will sich darüber keinesfalls beschweren – immerhin bringt Core Tex nicht nur Lohn und Brot für die drei Inhaber, sondern auch für fünf angestellte Mitarbeiter. Mit einiger Sorge beobachtet David allein den Trend, dass es in Deutschland inzwischen eine „riesige rechte Szene“ gibt, die harten Grauzonen-Deutschrock hört. Core Tex distanziert sich ganz klar von solchen Tendenzen und stempelt ein „Fuck Racism“ auf jede seiner CD’s.

Die Alternativkultur lebt von Leuten wie David, die ihre zunächst brotlose Leidenschaft zum Beruf machen und Vereine gründen oder Geschäfte aufmachen, um ihre Passion mit anderen zu teilen – Liebhaber von Manga-Comics, kruder Musik oder trashigen Filmen.

Trotz aller Probleme durch Mietsteigerungen und Gentrifizierung haben sich in den Berliner Innenstadtbezirken bis heute eine erstaunliche große Zahl solcher Läden und Vereine halten können. Im Ostteil der Stadt wurden sie erst nach dem Mauerfall gegründet, häufig in der Folge von Hausbesetzungen – unter ihnen das Supamolly als Kneipe und Veranstaltungsort in Friedrichshain, das Kino Lichtblick in Prenzlauer Berg oder die Comicbibliothek Renate in Mitte. Letztere ist bundesweit die einzige Einrichtung ihrer Art, und der Bestand umfasst inzwischen weit mehr als 10.000 Comics.

Doch die Dichte an alteingesessenen Szeneprojekten und -geschäften ist nirgendwo so groß wie in der Kreuzberger Oranienstraße. Hier gibt es neben dem Core Tex eine Reihe alter Läden, zum Teil seit den 80er Jahren: das SO 36, mehrere alternative Buchhändler, das Kollektiv Zentralrad, die NGBK oder das Berliner Modelabel Irie Daily.

Einen Steinwurf entfernt vom Core Tex am Heinrichplatz ist seit 2005 der Ableger einer weiteren Institution der Westberliner Subkultur beheimatet: das „Videodrom“. Das war einst die einzig richtige und einfach beste Videothek der Stadt und seit der Gründung 1984 viele Jahre in der Mittenwalder Straße in Kreuzberg 61 ansässig.

Bekannter wurde das Videodrom, nachdem 1989 ein Stammkunde das Ruder übernahm: Karsten Rodemann aka Graf Haufen. Seine Biografie klingt nach Westberliner Mythos: Graf Haufen war nicht nur Teil der Berliner New-Wave-Szene und vertrieb Tapes von Bands wie „Die Tödliche Doris“, sondern er kreierte mit „Artcore“ auch die wohl erste Wohnzimmer-Galerie Berlins überhaupt und gehörte zu den Verfechtern der Konzeptkunstbewegung „Neoismus“, die dann irgendwann konsequenterweise in einen „Kunststreik“ trat. Daneben wirkte er in Bands mit schön plakativen Namen wie „Haß auf den Kapitalismus“ mit.

Treu geblieben ist Graf Haufen bis heute seiner Sammelleidenschaft für obskure Filme. Doch für den Videodrom Filmverleih sind die Zeiten angesichts des schleichenden Abschieds physischer Medien nicht leichter geworden. „Wir schlagen uns durch, weil wir ein sehr spezielles Programm haben, und wollen das auch noch so lange wie möglich weitermachen“, sagt Graf Haufen. Über 30.000 DVDs gibt es mittlerweile im Verleih bei Videodrom, darunter viele in Originalfassung und sogar deutsche Filme mit englischen Untertiteln. „Zu uns kann kommen, wer im privaten Kreis eine vollständige Hitchcock-Retrospektive seit der Stummfilmzeit zeigen will oder tiefer in das afrikanische Kino einsteigen möchte.“

Core Tex hat seit 1988 ganze Heerscharen von Punkerkids musikalisch sozialisiert

Eines betont Graf Haufen: Auch wenn er mit dem Videoverleih – noch – sein Geld verdient, sind ihm besonders das viele „Herzblut“, das im Laden steckt, und die „soziale Komponente“ wichtig. Anders als viele der großen 08/15-Videotheken, die oft mit temporärem Personal arbeiten, versucht er darum, seine Mitarbeiter, die meist große Filmkenner sind, dauerhaft zu beschäftigen.

Während Graf Haufen mit dem Videodrom Verleih 2010 schließlich in die Friesenstraße am Chamissoplatz umgezogen ist, betreibt seine ehemalige Partnerin Ines Ruf den Videodrom Shop am Heinrichplatz. „Pop Culture Warehouse“ steht über der Eingangstür, drinnen werden Bücher und Magazine, CDs, DVDs und Vinyl verkauft – von Arthouse bis Streetart. Dazu gibt es einen umfassenden Mailorder. Wer einen Blick auf den Blog des Shops wirft, wird schon von der Vielfalt der dort angebotenen neuen Musik aus aller Welt überrascht sein. Doch auch Ines Ruf sagt, dass sich das Online-Geschäft kaum noch lohne. „Viele Filmnerds holen sich zum Beispiel die Sachen bei Amazon oder gleich als Download.“

Darum sei der Ladenverkauf mittlerweile entscheidend, sagt Ruf – nicht zuletzt dank der „wahnsinnig vielen Touristen, die das Geld bringen, was der Berliner nicht hat oder im Internet ausgibt“. Ruf mag es hier an der Oranienstraße in SO 36 ohnehin, es sei „nicht so gediegen“ wie in 61 und die anderen Gewerbetreibenden seien unglaublich nett. „Wir sind vielleicht Kult, aber keine Subkultur mehr“, sagt Ines Ruf zum Abschied.

Auch David Strempel von Core Tex will nicht über die Touristen klagen, wo sie doch für einen erheblichen Teil der Umsätze des Ladens verantwortlich sind. Und was sei dagegen zu sagen, fragt David, „wenn die viel gescholtenen spanischen Erasmus-Studenten für drei Monate herkommen, eine gute Zeit haben und sich als Erinnerung eins unser Berlin-T-Shirts holen“?

David brachte die Entwicklung immerhin auch eine neue kreative Aufgabe: die als Chefdesigner von Core Tex. Mehrere tausend verschiedene T-Shirts, strikt in Schwarz-Weiß gehalten, hat David nun schon in wenigen Jahren gestaltet.