Überlebensrezepte

REIFE Wie wird man über 100? Wir haben die ältesten Menschen Deutschlands gefragt. Viel Fencheltee mit Zwiebeln, meint eine Frau. Ein Mann sagt: keine Frauen. Alle mögen gern Eintopf. Niemand mochte je Sport

PROTOKOLLE STEFFI UNSLEBER

Meistens Hausmannskost

Essen hat keine große Rolle gespielt in meinem Leben, ich war sehr bescheiden und habe gegessen, was es gab, meistens Hausmannskost: Kartoffeln, Schnitzel, Gulasch. Als meine Mutter tot war und nicht mehr für mich kochen konnte, keine Ahnung, wie ich mich dann ernährt habe.

Ich hätte auch nie gedacht, dass ich so alt werde. Aber das Gesundheitswesen der DDR war gut. Ich durfte als Verfolgte des Naziregimes jedes Jahr auf Kur fahren. Moorbäder, Massagen. Ich musste sehr ruhig leben, weil ich eine furchtbare Migräne hatte. Wenn ich mich abends lebhaft unterhalten habe, lag ich morgens flach. Also musste ich alles vermeiden, was das Gleichmaß der Tage gestört hat. Das gilt auch für die Liebe: Mir ist die große Leidenschaft versagt geblieben.

Elfriede Brüning ist Schriftstellerin, 101 Jahre alt und seit 1947 geschieden. Sie lebt in Berlin

Und diese Mandarinen, die auch

Warum ich so alt geworden bin? Ich kann es nicht sagen. Aber ich tue niemandem was Böses und bin für Gerechtigkeit. Ob ich gesund gelebt habe? Ja, das hab ich! Nie getrunken, nie geraucht. Medikamente gab es auch nicht. Wurde jemand bei uns krank, hab ich Fencheltee gekocht. Dafür den Teebeutel, braunen Kandis und Zwiebelscheiben mit Wasser aufkochen, ziehen lassen, trinken. Dann ins Bett und getragene Wollsocken um den Hals! Mein Sohn macht das heute noch.

Mit flüssigem Schweineschmalz haben wir die Nase eingerieben. Außerdem gab es viel frisches Gemüse, Eintöpfe, wir hatten ja kein Geld und mussten immer selbst kochen. In den Grünkohl und den Rotkohl, da kam viel Schmalz, es musste richtig glänzen! Dazu fettes Fleisch, Rippchen mit Speckschwarten oder Mettwürste. Und ich habe viel Obst gegessen, jeden Abend eine Schüssel voll Erdbeeren, Weintrauben, Birnen, Apfelsinen und diese Mandarinen, die auch.

Maria Jantke, 109, zweitälteste Frau Deutschlands, lebt im Pflegeheim in Mülheim an der Ruhr

Obendrauf der blanke Zucker

So wie sich andere Leute Bonbons in den Mund stecken, so knabbere ich gern an Zuckerstückchen. Das habe ich schon immer gemacht, und das mache ich auch heute noch. Ich liebe Süßigkeiten! Nougatschokolade, Vanilleeis mit Sahne. Sehr gern habe ich auch Zuckerkuchen gebacken, den gab es oft. Das ist ein Blechkuchen mit Hefeteig und ordentlich viel Butter. Und obendrauf kamen blanker Zucker und ein großer Klecks Schlagsahne. Das war’s. Ganz reichhaltig. Natürlich habe ich für meine Familie auch Fleisch gekocht, wir hatten ja eigenes Geflügel früher, da gab es oft Braten und verschiedene Soßen, Klöße, Kohlrouladen, dazu Vorspeisen, sehr herrschaftlich. Mein Lieblingsgemüse waren grüne Bohnen, davon gab es Salat oder Eintopf. Aber der Nachtisch war mir lieber.

Else Aßmann, 110, gilt als älteste Frau Deutschlands. Sie ist seit 1966 verwitwet und lebt in Berlin

Ich rate: keinen Tabak, keine Frau

Als Kind haben wir gern Innereien gegessen, das hat mich gesund und kräftig gemacht. Herz, Niere und Lunge vom Schwein, alles wurde in einem Topf gekocht. Bei uns war ja Schmalhans Küchenmeister. Fleisch war zu teuer, aber die Innereien haben uns gutgetan. Dazu gab es immer Kartoffeln, ja, das hat gut geschmeckt.

Ich war nie krank, nicht mal mit Schnupfen oder Husten. Später habe ich viel Kuchen gegessen, sehr gern, das kann man wohl sagen. Ich war ja Konditor. So einen schönen Blechkuchen mit Blaubeeren und Kirschen gab es oft.

Ansonsten rate ich: bescheiden leben, keinen Alkohol, keinen Tabak, keine Frau. Die Liebe und der Suff, die reiben den Menschen uff. Ich bin so alt geworden, weil ich einfach nicht sterben wollte.

Paul Veit ist 109 und der älteste Mann Deutschlands. Er lebt mit seiner Tochter in Neuruppin

Die Sorte: egal. Hauptsache, Aprikose

Ich bin kein Fleischesser, damit Sie’s wissen. Deshalb esse ich jeden Morgen und Abend Graubrot und Butter und Magerquark. Darauf streiche ich Aprikosenmarmelade. Die Sorte ist egal, Hauptsache, es ist Aprikose, nich? So bin ich aufgewachsen, das haben wir gegessen. Sonst mussten Kartoffeln dabei sein, anders war’s nicht richtig. Meine Mutter hat das Kochen getan, viele Eintöpfe. Auf den Markt mussten wir nicht, Obst und Gemüse hatten wir im Garten. Zum Nachtisch gab es oft Vanillepudding mit eingedicktem Saft drauf. Ich weiß nicht, ob es das heute noch gibt?

Erna Gärtner, ist 102 Jahre alt und lebt noch in ihrem Geburtshaus im westfälischen Bünde

Mit ordentlich Fett dran

Rohes Fleisch, hmmm, das ess ich gern. Hackepeter vom Schwein, gutes Schnitzelfleisch oder so was. Wir haben hier einen Supermarkt nebenan, da wird das Fleisch frisch durchgedreht. Das muss ja spätestens nach einer halben Stunde verzehrt werden. Dann werden Zwiebeln rangemacht und Salz und Pfeffer. Oder Schabefleisch, rohes Rinderfilet, durch den Wolf gedreht, mit rohem Ei und Kapern. Das hat mir gut geschmeckt. Ich hab das mein Leben lang gegessen und esse das immer noch. Ein- oder zweimal die Woche wegen des Eiweißes. Damit ich nicht vom Fleisch falle, sagt mein Sohn.

Bis halb eins schlafe ich, dann gibt’s bei uns Frühstück, Brötchen mit Fleisch, so Kümmelbauch, mit ordentlich Fett dran. Oder eben Hackepeter. Die Tabletten, die kommen in die Tasche. Wenn ich ins Heim gekommen wäre, wäre ich schon tot. So bin ich mitten in der Familie. Ich bin die Letzte, die bei Festen noch am Tisch sitzt. Aber alt? Bin ich schon alt? Sag mal!

Wally Dubick, 105, lebt bei ihrem Sohn, einem Kunstsammler, in Berlin. Sie ist seit 1956 verwitwet