berliner szenen: Ein schwarzes Loch
In dem kleinen Friedrichshainer Kino wird das Publikum geschlossen in den Saal geführt. Daher besteht kein Zweifel: Außer mir besucht an diesem kalten Sonntagnachmittag kein Mann die Vorstellung von „Female Pleasure“. Die Konstellation kenne ich schon von so mancher Yogastunde.
Als der Film losgeht, drängt sich allerdings ein anderer Vergleich auf: Ich bin der einzige Deutsche in einer KZ-Gedenkstätte im Ausland. Irgendwie nicht schuld, aber irgendwie auch schuld. Als einziger im Raum. Scham. Auf Mikrobengröße zusammengeschnurrt versinke ich tief in meinen Sitz. Die etwa zwanzig Frauen um mich herum könnten mich locker töten, und ob meine Freundin Q. neben mir mich dann noch retten kann, steht in den Sternen.
Der Ausdruck „Hahn im Korb“ kommt mir ja meist eh nur noch beim Besuch eines Seniorenheims, aber „Hahn im Kochtopf“ könnte ich mir hier ganz gut vorstellen.
Denn „Female Pleasure“ ist eine Dokumentation männlicher Schande. Kein Detail ist mir so richtig neu, und doch ist der Querschnitt durch verschiedene Religionen und Kulturen, von hochmodernen bis hin zu archaischen Gesellschaften erhellend, denn er bündelt das Licht auf das immer gleiche Problem: die Furcht des Mannes vor der Frau, vor ihrer Lust und ihrer Potenz, die Tabuisierung und Verachtung ihrer Genitalien, die wie bei der Zwangsbeschneidung bis zu deren Vernichtung führt.
Die Frau ist gefährlich und schmutzig, ihre Vagina ein schwarzes Loch. Der Schwanz des Mannes hingegen sein Zepter, mit dem er regiert. „Der Uli denkt bei dem Titel sicher, das wäre ein Porno“, bekam Q. noch am Vorabend zu hören. Höhö. Dachte ich nicht. Doch beim Rausgehen fragen wir uns schon, wo die anderen Männer sind. Wollten sie nicht oder sollten sie nicht? Vielleicht mal so und mal so. Wie beim Yoga.
Uli Hannemann
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