Wer wird der Meister der Bürger in Stuttgart?

OB-WAHL Sieben KandidatInnen treffen bei der Diskussion aufeinander. Denn es ist eine Signalwahl bis nach Berlin

Die Elefantenjäger: Harald Hermann (Piraten), Wolfram Bernhard vom Magazin „Agora 42“ und Jens Loewe (parteilos, aktiv beim „Wasserforum“) (v. l.). Die Podiumsdiskussion soll online zu sehen sein unter www.fluegel.tv/beitrag/4876

Fotos: Joachim E. Röttgers/Graffiti

AUS STUTTGART NADINE MICHEL

„Die Wahlplakate sind allesamt so langweilig.“ Diesen Eindruck hatten in den vergangenen Wochen zwar schon viele Stuttgarter Bürger gewonnen. Doch so klar bringt es dieses Mal einer auf den Punkt, der es als Werbeprofi wissen muss, von dem man es aber am wenigsten erwartet hätte. Denn mit dieser Aussage urteilt der parteilose Sebastian Turner als Kandidat der CDU, FDP und Freien Wähler auch über seinen eigenen Wahlkampfauftritt.

Turner will wie 13 andere KandidatInnen am 7. Oktober Oberbürgermeister der baden-württembergischen Landeshauptstadt werden. Dieses Amt gilt nach dem Ministerpräsidenten als das zweitwichtigste im Land. Doch gerade angesichts dieser Tatsache drängen sich Fragen auf: Warum schaffen es die großen Parteien wie CDU und SPD bei einem so wichtigen Amt nicht einmal, einen eigenen KandidatInnen aufzustellen? Wie die CDU schickte die SPD mit Bettina Wilhelm eine Parteilose ins Rennen. Und warum schaffen es die KandidatInnen nicht im Ansatz, sich inhaltlich voneinander abzugrenzen und mit wirklich spannenden Themen das Wählerinteresse auf sich zu ziehen?

Trotz dieser scheinbar langweiligen Auftritte bewegt der Wahlkampf in Stuttgart derzeit Massen. So auch am Donnerstagabend, als die taz und die Wochenzeitung Kontext mit einer Diskussionsveranstaltung an die 1.000 Gäste ins Stuttgarter Theaterhaus lockten. Dort diskutierte taz-Chefredakteurin Ines Pohl mit Turner, Wilhelm, dem Grünen-Kandidaten Fritz Kuhn und Hannes Rockenbauch vom Bündnis Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS). Für einen „Zwischenruf“ kamen die drei weiteren Kandidaten Harald Hermann (Piraten), Jens Loewe (parteilos) und Wolfram Bernhardt (parteilos).

Was weckt ein derartiges Interesse? Diese Frage griff Josef-Otto Freudenreich von Kontext in seiner Begrüßungsrede auf. „Ich entsinne mich, dass die Hauptfrage zu den Hochzeiten der S-21-Bewegung nicht Bahnhof lautete, sondern wem gehört die Stadt: Gehört die Stadt dem schwarzen Filz oder gehört sie uns, den Bürgerinnen und Bürgern?“ Die Menschen wollten mitbestimmen, wer die Stadt zukünftig regiert.

Eine Entscheidung mit bundespolitischer Bedeutung. „Das gesamte politische Berlin, allen voran Angela Merkel selbst, beobachtet sehr genau, ob sich der grüne Siegeszug bis in Rathaus fortsetzt“, sagte taz-Chefin Pohl.

Um das zu schaffen, schicken die Grünen immerhin ihren Bundestags-Fraktionsvize Kuhn ins Rennen. Zudem kann er auf die Unterstützung des populären Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann bauen. Doch das grüne Parteibuch könnten ebenso Gründe für ein Scheitern Kuhns werden. Denn die Wunde „S 21“ ist bei vielen noch längst nicht verheilt. Während Turner sich als Einziger klar für Stuttgart 21 ausspricht, Wilhelm sich ähnlich wie die SPD zerrissen zeigt, muss sich Kuhn den härtesten Schlagabtausch in dieser Frage mit Rockenbauch liefern. Als Sprecher des S-21-Aktionsbündnisses tritt der Rotschopf als Einziger mit dem Anspruch an, mit dem Bahnhof oben bleiben zu wollen.

„Der künftige Oberbürgermeister kann das Thema auf die Tagesordnung des Gemeinderats setzen, dass dieser sich endlich mal wieder mit diesem Projekt beschäftigt“, sagte Rockenbauch. Er wolle zumindest die zweifelhaften Verträge rechtlich prüfen lassen. Kuhn hingegen rechtfertigt sich mit einer Zweidrittelmehrheit, die im Gemeinderat für Stuttgart 21 sei. „Und die kann man nicht wegdiskutieren, selbst man es sich wünscht.“

Überzeugen kann er damit viele S-21-Gegner nicht. Und so könnte ausgerechnet die Protestbewegung die grüne Partei vom Rathaus fernhalten.