„Wir können das Ding noch drehen“

INTERVIEW JENS KÖNIG

taz: „Jeder Wahlkampf ist ein Unikat“, pflegt Ihr Chef und Idol Franz Müntefering zu sagen. Was ist das Einmalige an diesem Wahlkampf?

Kajo Wasserhövel: Er findet unter sehr ungewöhnlichen Umständen statt. Es ist erst das dritte Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass Bundestagswahlen vorgezogen werden. Außerdem muss die SPD aus einer sehr schwierigen Ausgangslage heraus starten. Und schließlich finden wir in diesem Wahlkampf eine veränderte Konkurrenzsituation vor. Unser Hauptgegner ist das schwarz-gelbe Lager, die Frage „Schröder oder Merkel?“ bleibt entscheidend. Aber das Auftreten der erweiterten PDS spielt für die SPD natürlich auch eine Rolle.

Liegt die Besonderheit nicht in etwas ganz anderem? Die SPD hat keine Chance, diese Wahl zu gewinnen, und sie weiß das.

Das sehe ich nicht so.

Bestimmt doch. Sie dürfen es nur nicht laut sagen.

Dieser Wahlkampf ist für die SPD gewinnbar. Schauen Sie sich die paradoxe Situation an: Ende Mai hatten die Union und Angela Merkel noch sehr hohe Umfragewerte. Mittlerweile gucken die Wähler genau hin, sowohl auf das Programm der Parteien als auch auf die Spitzenkandidaten. Plötzlich werden die Unterschiede deutlich. Und schon sind die Werte sowohl für die Union als auch für Frau Merkel dramatisch gesunken. In allen Umfragen liegt Gerhard Schröder in der Kanzlerfrage mittlerweile klar vorn.

Die Werte für den Kanzler steigen – aber das auch nur, weil er zum Ende seiner politischen Karriere gute Laune verbreitet. Die SPD hingegen stagniert bei unter 30 Prozent.

Der Kanzler verbreitet nicht gute Laune, sondern er kämpft, und zwar mit großer Entschlossenheit. Noch einmal, wir sind guten Mutes, dass wir unsere Wahlziele erreichen können: Die SPD bleibt stärkste Partei, sie stellt die stärkste Fraktion, und Gerhard Schröder bleibt Bundeskanzler.

Sitzt die SPD nicht in der Schröder-Falle? Je mehr die SPD den Abstand zur Union verringert, desto wahrscheinlicher wird eine große Koalition, für die der Kanzler erklärtermaßen nicht zur Verfügung steht.

Als Wahlkampfmanager schaue ich auf die Fakten: Mehr als die Hälfte der Wähler ist nach wie vor unentschieden, die Mehrheit der Deutschen möchte Schröder als Kanzler, und die Zustimmung zu unserem programmatischen Angebot wächst. Der Abstand zur Union ist nach wie vor groß, aber wir können das Ding noch drehen.

Sie sind ein erfahrener Wahlkämpfer. Hat es jemals eine vergleichbare Situation gegeben, in der eine Partei mit so schlechten Werten gestartet ist und trotzdem noch gewonnen hat?

Ich bin zwar gelernter Historiker, aber ich möchte hier keine geschichtlichen Vergleiche ziehen.

Weil es keine gibt.

Weil die Wahlkämpfe nicht vergleichbar sind. Die Zahl derjenigen, die sich erst unmittelbar vor der Wahl entscheiden, ist über die Jahre immer größer geworden. Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai haben 25 Prozent der Wähler erst in der letzten Woche ihren endgültigen Entschluss gefasst, 14 Prozent sogar erst am letzten Tag. Vielleicht müssen wir uns daran gewöhnen, dass man nicht alles prognostizieren kann und Wahlen wirklich erst am allerletzten Tag entschieden werden.

Selbst in der SPD macht sich doch schon Verzweiflung breit. Der Wahlkampf müsse aggressiver werden, heißt es. Die Parteiführung überlegt, den Wahlkampfetat um zehn Prozent aufzustocken. Was soll das bewirken?

Wir sind nicht verzweifelt, wir legen jetzt noch ein paar Schippen drauf. Wir haben dreieinhalb Wochen harten Wahlkampf vor uns.

Als Wahlkampfmanager muss man bis zum letzten Tag eine Scheinwelt aufrechterhalten. Wie lebt es sich eigentlich mit einem so undankbaren Job wie dem Ihren?

Sehr gut. Der Job ist spannend, er macht mir großen Spaß. Ich muss keine Scheinwelt aufbauen. Meine Aufgabe ist, mitzuhelfen, Schwieriges möglich zu machen. Ich erinnere mich noch gut an 1998 und 2002. Damals haben uns auch viele prophezeit, dass wir die Wahlen verlieren werden. Und wir haben gewonnen.

Die SPD hat – wie alle anderen Parteien auch – keine Kampa, also keine ausgelagerte Wahlkampfzentrale, kein Geld und keine Zeit. Wie beeinflusst das den Wahlkampf?

Die Entscheidung, den Wahlkampf aus dem Willy-Brandt-Haus heraus zu organisieren, hatten wir mit Blick auf 2006 intern bereits im vorigen Jahr getroffen. Für eine optimale Wahlkampfführung brauchen wir eine gute Zusammenarbeit zwischen der Zentrale und den vielen zehntausend Ehrenamtlichen in den 299 Wahlkreisen. Das ist eine Erfahrung, die wir 2002 gemacht haben: Die Partei muss mobilisiert werden, es geht nicht darum, große, schicke Ideen von oben nach unten durchzustellen.

Klingt da Selbstkritik mit? 1998 und 2002 hat die SPD extrem inszenierte Wahlkämpfe geführt.

Beides waren gute und erfolgreiche Wahlkämpfe. Aber mein Ehrgeiz besteht dieses Mal darin, den vielen Ehrenamtlichen, die das alles in ihrer Freizeit tun, eine bessere Unterstützung aus der Zentrale zu liefern. Eine Bundestagswahl wird über Personen entschieden, über das Programm, das diese Personen vertreten, aber auch über die Millionen Gespräche, die während eines solchen Wahlkampfes ablaufen. Die SPD hat 600.000 Mitglieder. Wenn die einmal loslegen, liegt darin eine große Kraft.

Eine so pompöse Operninszenierung wie auf dem Leipziger Parteitag 1998 wird es in diesem Wahlkampf nicht mehr geben?

Nein. Wir haben die letzten Wahlkämpfe genau analysiert. Das Land ist groß und vielfältig, vieles findet jenseits der großen Medienmetropolen statt. Wer ein gutes Ergebnis erzielen will, ist gut beraten, sich nicht ausschließlich von dem Berliner Politik- und Medienbetrieb leiten zu lassen. Wir müssen uns diesmal auf das Wesentliche konzentrieren. Wahlkampftechnisch ist das ein bisschen back to the roots.

Auf den Plakaten der SPD findet sich viel Text und kaum Emotion. Steht das für die Anti-Inszenierung?

Wir führen einen Klartext-Wahlkampf. Wir setzen ganz bewusst nicht auf die „normale“ Werbesprache. Keine bunten Bilder, keine grünen Wiesen mit fröhlichen Menschen darauf, keine flotten Sprüche. Wir bringen von Anfang an die Alternativen auf den Punkt. Wir sagen, was die SPD will und was die anderen anzubieten haben.

Braucht eine verunsicherte SPD eine solche schlichte Ansprache?

Die SPD ist nicht verunsichert, sondern entschlossen. Wir konzentrieren uns diesmal in unseren Botschaften, das ist alles. Wir arbeiten sehr plakativ. Wir führen keinen inszenierten Wahlkampf, und wir machen schon gar keine Inszenierung der Inszenierung. Die SPD möchte viele Gelegenheiten schaffen, wo Menschen sich an der Basis orientieren und eine Meinung bilden können. Ich habe schon den Eindruck, dass viele begreifen: Das ist nicht irgendeine Wahl, sondern eine Richtungsentscheidung. Es geht um grundlegende Fragen wie die, ob wir den Kurs der Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft fortführen können. Oder ob wir weiter eine souveräne Außenpolitik verfolgen. Die Wahlen werden vor Ort entschieden, nicht in den Medien oder von den Demoskopen.

Fühlt man sich als Wahlkampfmanager mächtig?

Nein, ich fühle mich nicht mächtig. Verantwortlich – das ist das richtige Wort.

Sie reden wie Müntefering. Oder redet Müntefering wie Sie?

Das ist so ein typisches Bonmot von Journalisten. Ich lese das und denke mir meinen Teil.

Sie gelten als Münteferings Schatten. Sie weichen Ihrem Chef seit über zehn Jahren nicht von der Seite. Was fasziniert Sie so an ihm?

Er ist ein sehr guter und fairer Chef. Er lässt einem viel Raum, sich in der Arbeit auszuleben. Ich habe mir bei ihm abgeschaut, wie man in Drucksituationen umgeht. Und ich habe großen Respekt vor seiner Ausdauer und seiner Kraft. Müntefering lebt die SPD, er fühlt sich dieser Partei sehr verbunden. Er kann sozialdemokratische Politik mit einfachen Worten so ausdrücken, dass ihn alle verstehen.

Ihr ältester Sohn heißt Franz. Viele in der SPD halten das für einen Ausdruck der Bewunderung für Ihren Parteivorsitzenden.

Ich kenne die Geschichte. Sie stimmt nur leider nicht. Mein ältester Sohn ist 1990 geboren, da stand ich noch nicht in Münteferings Diensten. Mein Sohn trägt den Namen Franz in Erinnerung an den verstorbenen Vater meiner Frau.

Sie sind 42 Jahre alt. Sie stammen wie Müntefering aus dem konservativen, katholischen Westfalen. Was hat einen jungen Mann in den 70er Jahren dort zur SPD getrieben?

Meine Eltern sind klassische Sozialdemokraten. In unserer Familie war Politik immer Thema. Am Anfang habe ich mich für vieles interessiert und einmal sogar bei den Jungdemokraten vorbeigeschaut. Aber mit 16 Jahren bin ich dann doch lieber in die SPD eingetreten. Ich habe mich viel in der Friedensarbeit engagiert und für amnesty international gearbeitet. In der amnesty-Ortsgruppe in Bocholt haben wir einen politischen Gefangenen aus Uruguay betreut. Das war konkrete Arbeit, das hat mir gefallen.

Politik ist für Sie, genauso wie für Müntefering, in erster Linie Organisation. Sie produzieren sich nicht gern in der Öffentlichkeit und können ganz gut schweigen. Warum sind solche Typen im politischen Geschäft eigentlich so rar geworden?

Haben Sie den Eindruck, dass das so ist?

Jetzt kokettieren Sie.

Ich habe immer nur darauf geachtet, meine eigene Linie zu verfolgen. Man darf sich von der Öffentlichkeit nicht ablenken lassen. Man muss seine Autonomie bewahren.

So einfach?

Ich bin einfach so. Ich hatte nie den Eindruck, mit einem bestimmten Typ eine Marktlücke besetzen zu müssen.

Schließt ein Wahlkampfchef eigentlich Wetten ab?

Natürlich nicht. Ich weiß gar nicht, wie das geht.

Ich schlage Ihnen eine Wette vor. 18. September 2005: CDU 41 Prozent, SPD 31, und am Ende gibt’s eine große Koalition.

Danke, ich lehne gerne ab. Ich glaube fest daran, dass wir die Wahlen gewinnen können.