Zurück in der Kleinstadt

ABGESANG Mit dem „Mädcheninternat“ schließt einer der letzten coolen Clubs in Prenzlauer Berg seine Pforten. Unser Autor besuchte die Closing Party und nahm das Areal ein letztes Mal in Augenschein

Ein Rollstuhlfabrikant wird das Gelände übernehmen. Er plant dort Shoppingtempel

VON JURI STERNBURG

Der Kontrast könnte nicht größer sein. Gerade eben stand ich noch auf einer HipHop-Party in Kreuzberg und wunderte mich über alle Anwesenden, mich eingeschlossen. Das Designerlabel „Muschi Kreuzberg“, welches sich unter anderem durch T-Shirts mit von Straßenrappern geklauten Aussagen („Du hast Angst vorm Hermannplatz“) zu profilieren versucht, hatte zum Tanz geladen. Die Jutetaschengang mit den Mario-Gomez-Frisuren ließ sich nicht lange bitten. Als dann tatsächlich ein Rapper auftrat, rümpften die meisten angesichts von so viel Realität die Nase. HipHop-Partys in Kreuzberg waren früher anders, so viel stand fest, spätestens als Wilson „Speedy“ Gonzalez und Jimi Blue „Blaue Lagune“ Ochsenknecht auf der Bildfläche erschienen und sich problemlos in das optische Chaos integrierten.

Endzeitstimmung

Etwas wehmütig im Herzen verließ ich das „Prince Charles“, um mich auf den Weg ins „Mädcheninternat“ zu machen. Hier wusste ich, was mich erwartet. Schließlich war ich bis vor wenigen Jahren Stammgast, und auf Technopartys im „coolen“ Ostteil Berlins war immer Verlass.

Nun stehe ich hier, bei der Closing Party eines der letzten Clubs im Prenzlauer Berg (manche behaupten, es wäre der letzte Club, aber wie man hört, hat der „Klub der Republik“ eine neue Bleibe gefunden) und überprüfe meine durch Frustkonsum im „Prince Charles“ leicht getrübten Wahrnehmungsfähigkeiten. Die Kasse wirkt verwaist, der Kassenwart beinahe erleichtert, dass endlich mal jemand erscheint. Als ich ihn über meinen Gästelistenplatz aufkläre, schwindet alle Hoffnung aus seinem Gesicht. Ich erinnere mich, die Besuche im „Mädcheninternat“ irgendwann aufgegeben zu haben, da es schlicht und ergreifend nicht mehr möglich war, sich ein Bier an der mit Kellnerinnen in Schuluniform bestückten Bar zu bestellen, so beliebt war der Laden. Doch heute herrscht Endzeitstimmung. Lederjacken, Cordhosen und Silberketten, so weit das Auge reicht, die Stimmung latent aggressiv, so ist das nun mal, wenn das Speed günstig und die Laune mies ist. Ich gehe zurück auf den Hof, wo einige Mitarbeiter eine Art „Abschiedsgrillen“ veranstaltet haben. Sie sitzen um ein Lagerfeuer und trinken Bier. Es ist eine angenehme Runde, und man fragt sich, wieso die Spanne zwischen Anspruch und Realität hier so groß geworden ist beziehungsweise an welchem Punkt der Laden nicht mehr so lief, wie man sich das vorgestellt hatte.

Das Gelände, auf dem der Club (noch) steht, gehört zur Bötzow-Brauerei, einst eine große Firma mit einem 6.000 Menschen fassenden Biergarten. Leider sind wie immer die bösen Westdeutschen schuld am Niedergang derselben. Als die bayerischen Brauereien Mitte des 19. Jahrhunderts mit untergärigem Bier ihren Siegeszug begannen, waren viele Brauereien, die allein auf das obergärige Bier gesetzt hatten, aufgeschmissen. Ihnen fehlte schlicht das Know-how für die Herstellung des neuen Verkaufsschlagers. Und womöglich hat sich auch das Publikum im „Mädcheninternat“ einfach neu orientiert und ist weitergezogen, lechzend nach einer anderen Attraktion. Kellnerinnen in Schuluniform locken nicht mal mehr BWL-Studenten hinterm Ofen hervor. Vielleicht ist es aber auch die Atmosphäre, die der Bezirk seit einigen Jahren verbreitet. Angepasster und sauberer ist es geworden. Es gibt Tage, an denen ich dafür dankbar bin, an den meisten jedoch eher nicht.

Ich laufe ein wenig über das Gelände. Hier gab und gibt es jede Menge sinnvoller Einrichtungen, Werkstätten und vor allem Raum für Ideen. Demnächst wird ein Rollstuhlfabrikant das Gelände übernehmen, er plant eine Manufaktur, einige Lofts und ein paar Shoppingtempel, so ist das nun mal. Ich trinke mein untergäriges Bier aus und mache mich auf den Weg in einen anderen Laden, der Rummel ist weitergezogen. Als der „Klub der Republik“ seinen Standort in der Pappelallee aufgeben musste, war ein großes Transparent zu sehen. Zu lesen war darauf eine neue Variante eines Ausspruchs, der früher an jeder Kreuzberger WG-Tür hängen musste: „Erst wenn die letzte Eigentumswohnung gebaut, der letzte Klub abgerissen, der letzte Freiraum zerstört ist, werdet ihr feststellen, dass der Prenzlauer Berg die Kleinstadt geworden ist, aus der ihr einst geflohen seid.“