Leiser Tod am Meeresrand

Das hochbetagte Choreographenpaar Dupuy präsentiert fast vergessene Stücke von Hans Weidt und Deryk Mendel. Den Schluss bildet „L‘ Estran“, eine sehr private Hommage an das würdige Sterben

Zeitlebens glaubte der Choreograph Weidt, Tanz könne soziales Unrecht bannen

von Petra Schellen

Nicht Eitelkeit ist es, nicht Rückwärtsgewandtheit, nicht Ideenlosigkeit. Auch keine schlichte Hommage an ihre Lehrer, in deren Reihe sie sich mutig stellen, ist es, was die französischen Choreographen Françoise und Dominique Dupuy, inzwischen hoch betagt, zu ihrem Abend beim Laokoon-Festival auf Kampnagel mitgebracht haben: Auf Lücken im öffentlichen Gedächtnis wollen sie vielmehr verweisen, wollen Werke derer sichtbar machen, von denen sie lernten und die beinahe ganz vergessen sind.

Als Triptychon ist der „W.M.D.“ betitelte Abend konzipiert, in dessen Rahmen sie, die 1955 die „Ballets modernes de Paris“ mitgründeten, zweier bedeutender Lehrer gedenken: Hans Weidt (1904–1988) ist einer davon, jener der Laientanzbewegung Rudolf Labans verbundene, aufgrund seiner kommunistischen Weltanschauung 1933 vor den Nazis nach Frankreich geflohene Hamburger Choreograph, der zeitlebens daran glaubte, dass Tanz soziales Unrecht bannen könne: Die Ausgemergelten der Weltwirtschaftskrise der Zwanziger hat er 1929 in Alte Leute, Altes Eisen sichtbar gemacht. Ein „Bewegungschor“ aus zwölf TänzerInnen prägt die Szenerie, die sich als expressionistisches Tableau geriert: Mit starken Lichtkontrasten und Nachbildungen der originalen Masken Eric Goldstaubs ist auch das Revirement ausgestattet. Möglich wurde die originalgetreue Rekonstruktion des Stücks übrigens aufgrund einer Aufzeichnung der Uraufführung 1937 in Berlin. Aschfahl und doch hoffnungsvoll präsentiert sich die einem Totentanz gleichende Choreographie: Als den „Brücke“-Künstlern abgeschauter Holzschnitt einer Ära, deren Verelendung als Fortschreibung – oder Vorlauf? – heutiger Entlassungswellen gedeutet werden könnte, haben die Dupuys das Stück angelegt. Individualismus hat hier keinen Platz. An Francisco de Goya erinnern die scharfen Lichtkegel, in die die Dupuys das Geschehen gesetzt haben.

Und wenn auch Düsternis nicht explizit zum thematischen und atmosphärischen Repertoire des Ehepaars Dupuy zählt, so atmet doch auch Epithalame stetige Vergänglichkeit, jenes 1957 zu Olivier Messiaens „Quatuor pour la Fin du Temps“ („Quartett für das Ende der Zeit“) choreographierte Stück von Deryk Mendel: Eigens für die Dupuys hatte Mendel das Stück geschrieben, und lange blieb es das Markenzeichen der beiden. In völligem Schweigen wird diese karge, ausdrucksstarke Choreographie, einem Hochzeitstanz gleich, getanzt; zwei solistische Tänzer und fünf Kollegen bilden die Personnage. Die Kulisse: auf weiße Seide gemalte Bilder des japanischen Malers Imai, bestrahlt in den Farben des Regenbogens.

Und wie um das Triptychon auch chronologisch stimmig abzuschließen, haben die Dupuys ans Ende ihrer Sequenz die Eigenkreation L‘ Estran („Wattenmeer“) gesetzt, die auf der japanischen „Ballade von Nayarama“ beruht: Eine alte Frau wird darin auf eigenen Wunsch von ihrem Sohn auf den Berg Nayarama getragen, um dort auf den Tod zu warten. Ein aus den Mythen etlicher Völker bekanntes Motiv, das in des Westeuropäers Augen makaber scheint – nicht aber für die Dupuys: Als eher zarte Hommage an die alte Mutter ist das Stück angelegt, das sich hier im Wattenmeer abspielt; auf den Unwillen in den Industrienationen, sich wirklich mit dem Tod zu befassen, soll es hindeuten. Geschaffen wurde das Stück eigens für die Begegnung Françoise Dupuys mit dem jungen chinesischen Tänzer Wu Zheng.

„W.M.D.“: Fr, 26.,–So, 28. 8., 20.30 Uhr, Kampnagel. Diskussion „Dossier Hans Weidt“: Sa, 27. 8., 17 Uhr, Kampnagel