Unmenschliches Gekrächze

Ein Porträtfilm über die Einstürzenden Neubauten trägt viel Archivmaterial zusammen, verpasst aber, die einst wegweisende Band in einen weiteren Kontext zu stellen

„Wir haben uns verkauft“, gibt Blixa Bargeld zu – man habe ja Miete zahlen müssen

Auf der Bühne eines Einstürzende-Neubauten-Konzerts sah es damals aus wie auf der Baustelle. Man beobachtete die Band im wahrsten Sinne des Wortes bei der Arbeit. Betonmischer, Schleifmaschinen, Kettensägen und Presslufthammer waren die Instrumente, Metallrohre und Schrott aller Art dienten als Schlagzeug-Ersatz. Hauptsache Krach, Wut, Zerstörung – diese Handwerker bauten nicht auf, sondern ab. Im Vordergrund wand sich ein gebücktes Wesen, eine gepeinigte Kreatur, und sie schrie, „wie ich es nie vorher gehört habe“, so Nick Cave in der Neubauten-Dokumentation „Seele brennt“. Diese Schreie, dieses unmenschliche Gekrächze von Blixa Bargeld habe sein Leben verändert, so Cave.

Lange ist das alles her. Die Band, die in dem Film von Christian Beetz und Birgit Herdlitschke nicht als „Blixa und seine Kumpels“, sondern als Einheit unterschiedlichster Charaktere porträtiert wird, gibt es im Jahre 25 ihres Bestehens längst nicht mehr. Marc Chung, Bassist und „Finanzchef“, wie er seltsamerweise im Film genannt wird, ist weg. F.M. Einheit, der körperlichste der Schrotttrommler, ist ebenfalls ausgestiegen, und auch Alexander Hacke versucht sich seit einiger Zeit lieber allein als eine Art Berliner Trashking und Subkultur-Tausendsassa.

Der Film, der schon im Jahr 2000 für Arte produziert wurde und es jetzt doch noch in die Kinos schafft, widmet sich lieber dem Mythos Neubauten und nicht so sehr dem Heute. Es ist ja auch kaum etwas übrig geblieben von der damaligen Sprengkraft und dem urbanen Nihilismus dieser Band. Damals jaulte Blixa mit ausgemergelter Physiognomie „Es ist Krieg in den Städten“, heute singt er im Anzug und mit Wohlstandsbäuchlein Bedeutungsschwangeres für eine Literaturfestival-Klientel.

„Seele brennt“ zeichnet nach, wie sich über die Jahre aus dieser kaputten und extremen Band, die das Bild des Mauerstadt-Berlins verkörperte wie keine andere, die Kulturbetriebs-Onkels von heute werden konnten. Demnach war wohl der entscheidende Umbruch, als sich die Neubauten 1986 von Peter Zadek für dessen Inszenierung „Andi“ am Hamburger Schauspielhaus engagieren ließen. Die Stahlwerker und Kaputtmacher landeten im Theater und im selben Jahr reisten sie auch noch als Aushängeschild deutscher Kultur für das Goethe-Institut durch die Welt. „Wir haben uns verkauft“, gibt Blixa Bargeld im Film zu, aber irgendwie habe man ja die Miete bezahlen müssen.

Die Band wurde entsetzlich berühmt und überall als die vielleicht einflussreichste deutsche Band seit Kraftwerk gefeiert, in Japan, so Hacke, waren sie sogar Teenie-Stars, verehrt von Duran-Duran-Fans. Doch die Neubauten zerbrachen zunehmend an ihrem neuen Status. Widersprüche türmten sich auf. Ihre innere Einheit zerbröckelte, ihr ausgestellter Dekonstruktionsgestus wurde zunehmend zur Pose, und Blixa schlüpfte immer mehr in die Rolle eines Dichterfürsten und Poesie-Bohemiens, der sich von Heiner Müller gerne auf die Schulter klopfen ließ. „Die Neubauten“, so begründet F.M. Einheit, der bis zum Schluss eher der Proletkult-Handwerker geblieben ist, seinen Ausstieg Mitte der Neunziger, „sind nicht mehr eingestürzt.“

Was bleibt, und davon sieht man in „Seele brennt“ leider zu wenig, ist der immense Einfluss der Neubauten, der bis heute ungebrochen ist und von den Swans bis zu jungen Bands wie The Liars oder Black Dice reicht. Seltsam ist jedoch, dass die Neubauten nie echte Epigonen hervorgebracht haben und sich selbst in Zeiten des Achtziger-Revivals niemand an die frühe Ästhetik der Band heranwagt. Sieht man erneut diese Bilder dionysischer Körperlichkeit bei den ersten Neubauten-Auftritten, würde man ein Revival der Schrotthandwerker auf der Bühne nur begrüßen.

ANDREAS HARTMANN

„Einstürzende Neubauten – Seele brennt“, Regie: Christian Beetz und Birgit Herdlitschke. Dokumentarfilm, Deutschland 2000, 61 Min. Ab heute im Lichtblick, Moviemento und den Tilsiter Lichtspielen, mit Vorfilm „Nihil“, Deutschland 1987, 58 Minuten.