die woche in berlin
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Die Schließung des Hangars am Tempelhofer Feld für Geflüchtete führt nur zu einer weiteren schlechten Zwischenlösung. Auf das Kräftemessen zwischen Bezirk, Senat und der Deutschen Wohnen schaut inzwischen das ganze Land. Zwischen Glühwein- und Bratwurststand wurde am Breitscheidplatz des Attentats von vor zwei Jahren gedacht. Obdachlose zeigen, dass sie für ihre Rechte zu kämpfen verstehen

Das versteht niemand mehr

Flüchtlinge in Hangar und Kaserne

Es klang wie eine Sensation. „Sammelunterkunft in Tempelhofer Hangars schließt“, meldete das Neue Deutschland am Donnerstag. Noch vor Weihnachten, schrieb die Zeitung, sollte das Ankunftszentrum „freigezogen“ sein, wie es im Behördendeutsch heißt. Konnte das wahr sein? Sollte das, was Flüchtlingsrat und andere KritikerInnen seit zwei Jahren fordern, tatsächlich passieren?

Ja – und nein. Zwar sollen die 259 Flüchtlinge, die derzeit im Hangar leben, tatsächlich bis Weihnachten dort raus; sie kommen als „Zwischenlösung“ nach Spandau in die Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne. Doch die nächsten neuen Flüchtlinge, derzeit kommen monatlich um 800 nach Berlin, werden wieder im Hangar untergebracht, wo sie registriert und erst­untersucht werden – was behördlicherseits derzeit oft Wochen dauert. Endgültig ist der Hangar erst passé, wenn bis Ende März die „offizielle Zwischenlösung“ bis zum Bau eines neuen Ankunftszentrums steht. Beides soll aufs Gelände einer früheren Nervenklinik in Reinickendorf. Diese zweite Zwischenlösung ist eine Gemeinschaftsunterkunft, die wiederum noch „freigezogen“ werden muss.

Klingt zu kompliziert? Ist es auch! Denn es gibt keine gesetzliche Notwendigkeit für ein Ankunftszentrum – ob Hangar, Kaserne oder Neubau. In Berlin gibt es mehrere gesetzlich vorgeschriebene „Erstaufnahmeeinrichtungen“, also Heime mit Vollverpflegung. Von dort dürfen neue Flüchtlinge nach sechs Wochen in Gemeinschaftsunterkünfte (Heime mit Selbstversorgung) umziehen.

Der Hangar war notwendig, als 2015/16 so viele Flüchtlinge kamen, dass alle Heime voll waren. Aber derzeit gibt es knapp 3.000 freie Plätze in Erst- und Gemeinschaftsheimen – plus mehrere neue, bezugsfertige Heime in Modulbauweise, so genannte MUF, die seit Monaten leer stehen, vermutlich wegen Problemen, Betreiberverträge zu schließen, wie es auch bei neuen Containerdörfern zuletzt der Fall war.

Die Lösung könnte also einfach sein: Statt in Hangars oder schrottigen Kasernen am Stadtrand bringt man die Flüchtlinge in bestehenden, gesetzlichen Standards entsprechenden Unterkünften unter. Und wenn dafür Betreiber fehlen, nimmt man den landeseigenen Betrieb, der genau zu diesem Zweck gegründet wurde.

Warum wird das nicht gemacht? Warum hält eine linke Sozialsenatorin an einem unnötigen Ankunftszentrum fest, statt pragmatisch und im Sinne der Flüchtlinge zu agieren? Die Antwort ist sie uns noch schuldig. Susanne Memarnia

Ein Western im Osten

Die Deutsche Wohnen gegen Bezirk und Senat

Eigentlich ist das, was im Ostberliner Stadtteil Friedrichshain passiert, ein Western: mit Schurken, die schurkiger nicht sein könnten, und einem Helden, der nolens volens sein Waffenarsenal aufrüstet. Und zwischen ihnen: die Mieterinnen und Mieter von inzwischen 850 Wohnungen in der Karl-Max-Allee.

Bereits im Oktober hatte der Schurke, gespielt von der börsennotierten Deutschen Wohnen, 700 Wohnungen in der einstigen Prachtstraße des Sozialismus gekauft. Seitdem rangen der grüne Baustadtrat Florian Schmidt (der Held) und der rot-rot-grüne Senat um die beste Lösung, um die Mieter zu schützen. Zwei Modelle sollen es richten. Kredite für einen Kauf durch die Mieter, denen vor Inkrafttreten des Immobiliendeals noch ein Vorkaufsrecht zusteht, sowie ein Treuhändermodell, bei dem die Wohnungen schließlich in die Hand der landeseigenen Gewobag kommen sollen.

Nachdem ein Gericht den Gesamtverkauf obendrein vorerst gestoppt hatte, schlug die Deutsche Wohnen am Mittwoch erneut zu und gab den Kauf weiterer 150 Wohnungen bekannt. So einen Machtkampf hat die an Machtkämpfen beileibe nicht arme Mieterstadt Berlin schon lange nicht mehr gesehen. Kompromisse jedenfalls sind nicht Sache des mit 110.000 Wohnungen größten privaten Vermieters der Stadt, eher ist es die Abteilung Attacke. Mal wird der Mietspiegel nicht anerkannt, mal schickt das Unternehmen, wie im Fall der Karl-Marx-Allee, selbst formulierte Abwendungserklärungen an den Bezirk, weil es die offiziellen nicht anerkennen will.

So agiert nur einer, der den Konflikt auf die Spitze treiben will – und sich sicher ist, genügend Macht zu haben, um am Ende als Sieger dazustehen. Aber auch Florian Schmidt und der Senat haben etwas zu verlieren. Auf High Noon in Berlin dürfte inzwischen die ganze Republik schauen. Und das Volksbegehren „Deutsche Wohnen enteignen“ dürfte weiter munter Zulauf bekommen.

Uwe Rada

Bratwurst am Tatort

Gedenken zwei Jahre nach dem Amri-Attentat

Meine Güte, wie lange dauert das denn?!“, ruft eine Frau in gelbem Anorak, stürmt in die Käthe-Wohlfahrt-Hütte und zerrt ihre Begleiterin heraus. Auf dem Breitscheidplatz herrscht vorweihnachtliches Gewusel – die Stimmung changiert zwischen Kaufrausch und entspannter Schlenderei. Kurz vor dem Fest ist der Weihnachtsmarkt schon mittags gut besucht. Leute essen Bratwurst, trinken Glühwein und shoppen ihre Portemonnaies leer. Wie konsumiert es sich an dem Ort, an dem vor zwei Jahren zwölf Menschen durch einen Attentäter in den Tod gerissen wurden? Wie schmeckt der Glühwein mit Blick auf die Kränze und Fotos der Opfer, wie die Bratwurst dort, wo der Lkw in die Menge raste?

Diese Woche war die Erinnerung präsent, für ein paar Stunden rückte das Attentat wieder ins Bewusstsein, Fragen kamen hoch: „Wo warst du, als die Nachricht kam? Was hast du gemacht?“ Abends dann eine Andacht auf dem Platz, tröstende Worte, zwölf Glockenschläge – und am nächsten Morgen wieder business as usual.„Alles normal“, sagt eine junge Verkäuferin in einem Stand mit bunt schimmernden Par­fum­fla­kons. „Einen Duft testen, die Dame?“, ruft sie Vorbeigehenden zu. Die Andacht sei schön gewesen, das Weihnachtsgeschäft laufe gut.

Vor der Treppe, wo die Blumen liegen und Kerzen neben Fotos der Ermordeten brennen, halten die Konsumwütigen kurz inne, werden still. Viele senken die Köpfe, betrachten die goldene Linie im Boden. „Dit soll ’n Riss sein“, raunt ein Mann einer Frau zu. „Something is broken“, sagt ein Tourist. „Zwei Jahre ist das jetzt schon her“, wundert sich eine ältere Dame und geht langsam vorbei. Direkt gegenüber der Treppe ist die „Glühwein-Bar“. Zwei junge Pärchen stützen die Ellbogen auf die Stehtische vor der Bude und schlürfen ungerührt die süße Plörre. Zu ihren Füßen stapeln sich Einkaufstüten.

Es fühlt sich schon etwas befremdlich an, dort herumzuschlendern, wo so viele Menschen ihr Leben verloren haben. Sich Hippieschmuck anzugucken, dem iPhone eine hölzerne Hülle anzuprobieren, oh, sieht hübsch aus, ein Stück Schokolade zu kosten.

Wer den Weihnachtsmarkt betritt oder verlässt, muss über groteske Sicherheitsrampen mit Pollern steigen, der Verkehr am Breitscheidplatz ist wegen der Absperrungen fast lahmgelegt.Doch wenn man drin ist, ist man eben drin. Bunte Lichter und der Duft gebrannter Mandeln tun ihr Übriges: So simpel tickt der Mensch. Neben einem Stand mit Billigschmuck steht eine Statue mit einem Mes­singschild: „Alles verzeiht am Ende die eine Macht – die Macht der Zeit.“

Katharina Schipkowski

Abends eine Andacht auf dem Platz, tröstende Worte, zwölf Glocken­schläge – und am nächsten Morgen wieder business as usual

Katharina Schipkowski zum Gedenken an das Attentat auf dem Breitscheidplatz

Menschen mit Rechten und Würde

Obdachlose wehren sich gegen ihre Vertreibung

Es war eine mutige Aktion, als Micha, Ingo und die anderen Obdachlosen am vergangenen Sonntag zum Landesparteitag der Linken fuhren, um dort gegen die drohende Räumung ihrer provisorischen Behausungen an der Rummelsburger Bucht zu protestieren. Es mutete fast schon etwas skurril an, als die Gruppe dort unter dem Beifall der Delegierten das Podium betrat und später ranghohen Politkern der Partei ihre Situation schilderte. „Stadt für alle“, sicherte die Senatorin für Soziales, Elke Breitenbach, ihnen ihre Unterstützung zu, „das meinen wir ernst.“

Der fast feierliche Empfang kam für die Gruppe etwas unerwartet. Denn statt Ge­sprächs­angeboten sind sie eher daran gewöhnt, von einer Freifläche zur nächsten verjagt zu werden. Vor ein paar Tagen noch war ihnen von Ordnungsamts- und Securitymitarbeitern nüchtern mitgeteilt worden, dass sie die Brache zwischen Rummelsburger Bucht und Ostkreuz, auf der Schätzungen zufolge rund 100 obdachlose Menschen wohnen, räumen sollten – wenige Tage vor Weihnachten, Hilfsangebote gab es keine. Und das in Lichtenberg, einem Bezirk, der von der Linken selbst regiert wird, auf einem Gelände, für das eine links geführte Senatsverwaltung verantwortlich ist.

Das von Aktivist*innen besetzte ehemalige Jugendfreizeitschiff „Freibeuter“, das in unmittelbarer Nähe der Brache ankert, unterstützt deren Bewohner*innen mit warmem Essen und Sachspenden, vor allem aber bietet es ihnen einen Raum, in dem sie ihre Probleme besprechen und sich vernetzten können. Auf der „Freibeuter“ entstand auch die Idee, den Linke-Parteitag zu besuchen.

Und diese Aktion zeigt zwei Dinge ganz eindeutig. Zum einen widerlegt sie Klischees, die gerne herangezogen werden, um die Marginalisierung von Obdachlosen zu rechtfertigen: Man könne mit ihnen nicht reden, sie wollten sich nicht helfen lassen, seien gar freiwillig auf der Straße. Zum anderen zeigt der Besuch auf dem Parteitag, wie wichtig es ist, dass sich Obdachlose eine politische Stimme in dieser Stadt verschaffen: um nicht weiter nur als „Problem“ wahrgenommen zu werden – sondern als Menschen mit Rechten und Würde.

Jonas Wahmkow