„Ich habe extrem viel Glück gehabt“

SKI ALPIN Die Weltcup-Saison beginnt ohne Daniel Albrecht. Der in Kitzbühel schwer gestürzte Schweizer arbeitet weiter an seinem Comeback

■ Der Schweizer gewann 2007 den Weltmeistertitel in der Kombination. Im Januar 2009 stürzte er in Kitzbühel so schwer (Schädel-Hirn-Trauma, Lungenquetschung), dass er in künstliches Koma versetzt werden musste. Foto: ap

taz: Herr Albrecht, wie war das, als Sie realisiert haben, dass Sie Skirennläufer waren?

Daniel Albrecht: Schwer zu erklären. Am Anfang kommt die Erinnerung wieder, aber das Gefühl fehlt. Vom Tag, als ich den Sturz hatte, weiß ich nichts mehr. An den Tag vorher kann ich mich an ein paar Sachen erinnern. Ich weiß mittlerweile vieles, was früher war, bin aber nicht sicher, ob da noch was ist, das ich nicht weiß.

Ist es vielleicht ganz gut für Ihre weitere Laufbahn, wenn Sie von dem Sturz nichts wissen?

Es ist ein Vorteil, nicht zu wissen, wie es war. Aber man weiß nicht, was das Unterbewusstsein macht, wenn ich wieder am Start stehe.

Haben Sie sich den Sturz angeschaut?

Auf Youtube, Mitte März. Das war ziemlich komisch, denn die Ärzte hatten gesagt, das sei schwierig und ich solle das lieber nicht anschauen. Ich hatte schon Angst, dass irgendwelche Probleme auftauchen. Dann habe ich den Sturz gesehen und auch gemerkt, dass ich es selber bin, der stürzt, aber die Verbindung fehlt. Du schaust zu und denkst: „Den hat’s hingehauen.“

Die Faustregel sagt: pro Tag im Koma einen Monat Reha. Sie standen nach drei Wochen im Koma schon drei, vier Monate später wieder auf Skiern.

Ich habe extrem viel Glück gehabt. Es kam alles sehr schnell zurück. Warum, weiß ich nicht. Aber ich kann nicht sagen, wann ich in den Weltcup zurückkomme. Normalerweise dauert das zwei Jahre – und da ist die Hirnverletzung noch nicht dabei, und die war bei mir doch eher groß. Sobald ich das Gefühl habe, unter die ersten 15 fahren zu können, bin ich wieder am Start.

Gab es einen Punkt, an dem man sagt: Ich mache nicht weiter?

Am Anfang war es schon schwierig. Man weiß ziemlich wenig, was man früher gemacht hat. Wenn das wieder da ist, fragt man sich: Was mache ich eigentlich, wenn ich nicht mehr Ski fahren kann? Zum Glück habe ich mit meiner Mode-Linie ein zweites Standbein.

Wie war der erste Tag auf Skiern?

Sehr schwierig. Das Gleichgewicht, die Einschätzungen, ich konnte mich nicht orientieren. Man fährt runter und denkt: Bin ich jetzt gefahren oder nicht?

Wann war das?

Eine Woche nachdem ich aus der Klinik entlassen worden war. Die Ärzte hatten gesagt, ich dürfe nicht auf 2.000 Meter, weil die Gefahr von Kopfschmerzen sehr groß sei. Ich habe gedacht: Okay, ich fahre jetzt mit dem Auto hoch, und wenn ich Kopfschmerzen bekomme, fahre ich wieder runter. Im Kaunertal war das damals.

Sie haben sogar das Sommertraining in Südamerika mitgemacht.

Zum Glück ist die Technik und das Gefühl für die Ski wieder zurück. Wenn kein Rhythmuswechsel und keine Schläge drin sind, geht es eigentlich wie von alleine. Es wird von Mal zu Mal besser, aber ich bin noch weit weg von der Spitze.

War es für Sie immer klar, dass Sie zurückkommen würden?

Das ist meine Art, die ich immer im Kopf hatte. Ich habe gesagt: Ich werde Weltmeister – was eigentlich übertrieben war, und dann hab ich es doch geschafft. Wenn ich morgens im Spital aufgewacht bin, hatte ich immer das Gefühl: Ich muss besser werden. Da wusste ich noch gar nicht, dass ich Skirennläufer war.

Wie kam das Wissen über die eigene Vergangenheit zurück?

Die Ärzte erzählen einem nichts, was man nicht selber fragt. Ich hätte am Anfang nicht gewusst: Was redet der überhaupt? Der Kopf war noch nicht so weit, das aufzunehmen.

Was waren die ersten Gedanken, an die Sie sich erinnern können?

Ich dachte: Ich glaube, ich bin im Spital. Was mache ich hier? Ich glaube, ich bin verletzt. Jetzt schlafe ich wieder. Diesen Gedanken hatte ich vier, fünf Tage. Mehr war nicht da. Auch jetzt passiert es mir manchmal, dass ich einen Bekannten treffe und mich frage: Wie heißt der? Was macht der?

Wie konnten Sie überhaupt trainieren?

Schwierig. Ich hatte Mühe, Treppen zu gehen, konnte keinen einzigen Liegestütz. Im Juli bin ich beim Mountainbiken gestürzt und habe mir die Hand gebrochen. Mittlerweile kann ich fast alles mittrainieren. In den drei Wochen im Koma habe ich 15 Kilo abgenommen – aber die habe ich wieder zurück.

Würden Sie noch mal in Kitzbühel starten?

Das ist schon schwierig, dahin zu gehen. Aber ich bin von Natur aus ein komischer Typ. Wenn man sich diesen Zielsprung anschaut, wie hoch die Geschwindigkeit und der Luftstand ist – das ist schon extrem krass. Wenn man den Aufprall gespürt hätte, das wäre schmerzhaft gewesen. Da ist schon die Frage: Sollte man mit 140 Sachen noch einen Sprung machen? INTERVIEW: THOMAS BECKER