wortwechsel
: „Eine Organspende
ist ein Geschenk!“

Der Text „Der Mensch als Biomüll“ fand große Zustimmung auf der Leserseite „‚Unvollständig‘ in die Ewigkeit entlassen?“ Daraufhin nun schrieben uns viele Befürworter der Organspende

Frankreich: Ein gespendetes Kinderherz auf dem Weg zu einem siebenjährigen Kind in der Schweiz Foto: Gaetan Bally/Keystone Schweiz/laif

„‚Unvollständig‘ in die Ewigkeit entlassen?“, Leserbriefseite, taz vom 5. 12. 18

Hirntod: Die Kriterien

In dem in verschiedener Hinsicht bedenkenswerten Beitrag „Der Mensch als Biomüll“ wird nicht berücksichtigt, dass zur Hirntodfeststellung zwingend gewisse Hirntod-Kriterien erfüllt sein müssen. Dazu zählen das Null-Linien-EEG (totaler Ausfall der Hirnströme und damit jeglicher Hirnaktivität); Blutfluss in den Hirngefäßen nicht mehr nachweisbar (keine Sauerstoffversorgung des Gewebes, damit Gewebezerfall und Tod); der zytologische Nachweis von abgestorbenen Hirnzellen im Liquor/Hirnwasser, entnommen durch Punktion am oberen oder unteren Bereich des Wirbelkanals, aufbereitet und zytologisch beurteilt per Mikroskop. Das letztere Phänomen habe ich selbst in einer Reihe von Fällen mittels Liquorproben aus Intensivstationen beobachten können. Hierbei ist der Nachweis geführt, dass das Gehirn in toto bereits im Zerfall begriffen ist – der Mensch ist unwiderruflich tot, Gefühle, Denken, Sprechen, Motorik sind für immer verloren. Somit kann nicht vom Hirntoten „als Wesen mit einem lebendigen Körper definiert“ gesprochen werden – sofern das Hirn zu einem lebendigen Körper gehört. In jedem Fall sind Hirntote (zumindest) als partiell Tote zu sehen – das Gehirn ist vollends und irreversibel „tot“, seine Funktionen sind nicht mehr wiederherzustellen. Der dank intensivmedizinischer Maßnahmen noch überlebende Teil des Körpers kann nicht mehr in den Zustand einer lebenden, empfindenden Person zurückgelangen. Wenn im Zuge der Explantation noch gewisse vegetative Reaktionen auftreten – „Schwitzen, Hautrötungen“ –, so können diese nicht mehr mit einer „Schmerzempfindung“ in Zusammenhang gebracht werden. Zu bedauern ist die Diktion der Verfasserin: „Opferung des sterbenden Menschen“, „Entwertung“, „Vermarktung“, „Wiederverwertung“ im Sinne einer „Abfallwiederverwertungsindustrie“; ebendies lehnt die Medizinethik hoffentlich weiterhin erfolgreich ab.

Hans Sayer, Rottenburg/Neckar

Von Sterbenden gerettet

Ein Erlebnis: Ich stehe vor Kurzem mitten in der Nacht mit Kind auf dem Arm vor dem Krankenhaus. Zwei Ärzte kommen bepackt mit Boxen daher, steigen in ein wartendes Fahrzeug. Es geht nach Wiesbaden, höre ich. Die Patienten warten schon auf die Organe. Bereitschaftswagen des DRK werden ebenfalls mit Behältern beladen und fahren Richtung Augsburg und Nürnberg los.

Ich schaue auf meinen Sohn und bin dankbar, dass auch er eines Tages von einem Sterbenden gerettet werden könnte. Das ist keine Vermarktung, kein Recycling. Es ist ein Geschenk.

Matthias Blumenschein, Aalen

Wir sterben langsam

Es freut mich ja, wenn die taz gelegentlich kontroverse, ja extreme Positionen zu Wort kommen lässt. Wie in „Der Mensch als Biomüll“. Denn, Hand aufs Herz: Wer mal so eben die ganze Medizin der „Lüge“ bezichtigt, ist ein Extremist.

Weit weniger konziliant bin ich als Betroffener. Ich gehöre nämlich zu den Zehntausend, auf die die Bezeichnung „lebende Leiche“ viel eher zutrifft als auf die Hirntoten, in die sich Leute wie Anna Bergmann so gern hineinfantasieren. Denn das bisschen Leben, das die so segensreiche Dialyse uns mit zwanzig Prozent Nierenfunktion schenkt, ist zugleich auch ein langsames Sterben. Ein stunden-, tage-, wochenlanges Dahinvegetieren an Apparaten. Mit verzweifelten Diäten, Krämpfen und Schmerzen, stetig schwindenden physischen und psychischen Kräften, rapider Arterienverkalkung, Herzschwächen, Schlaganfällen, Krebsgefahren, Depression.

Die meisten von uns wären in Spanien längst transplantiert.

So sterben wir langsam weiter, jahrelang, mit immer müder werdenden Hoffnungen. Der Grund? Die Ängste, irrational und unbegründet, aber leicht kultivierbar von den Anna Bergmanns in unserer Medienlandschaft. Und die Ängste der politischen Klasse vor diesen Ängsten.

Klaus Beutelspacher, Köln

Lebensverlängerung

Während ich die Polemik von Anna Bergmann gegen Organspenden gelesen habe, musste ich immer wieder an einen alten Freund denken, der dank einer Nierenspende seit vielen Jahren wieder ein normales Leben führen kann.

Frau Bergmann spricht vom „Unsterblichkeitsphantasma“ und spricht damit den Organempfängern das Recht ab, dass ihr Leben zumindest verlängert oder zumindest erleichtert wird, wenn es eine medizinische Möglichkeit dazu gibt. Das Recht der Toten wird hier höher gestellt als das der Lebenden.

Alexander Söndgen, Sitters

Nichtbeantwortbarkeit

Der Tiefe des Themas wird eine einseitige Darstellung nicht gerecht, mag sie noch so wuchtig daherkommen.

Immerhin ist denkbar, dass sich ein Mensch sehr bewusst dafür entscheidet, seine Organe zu spenden, sollte er je so schwer erkranken, dass bei ihm ein Hirntod diagnostiziert wird.

Dass er sich mit seinen Angehörigen diesem Szenario stellt, auch dem Procedere der Organentnahme. Dass er die Frage des Todeszeitpunktes in ihrer Nichtbeantwortbarkeit erträgt. Und obwohl er sich keinerlei Illusionen hingibt über den „neoliberalen Zeitgeist und der Ökonomisierung des Sozialen“ – er verfügt dennoch seinen Wunsch nach Lebensrettung anderer schwerstkranker Menschen als Organspender.

Getragen vom Respekt vor seiner Entscheidung ist eine empathische Begleitung dieses Menschen und seiner Angehörigen vor, während und nach der Organentnahme möglich.

Transplantationsmedizin muss weder Ethik noch Pietät missachten.

Statt fertiger Statements brauchen wir in der Frage um Organspende einen produktiven Diskurs, eine Streitkultur, die die philosophischen und ethischen Wege auslotet und uns befähigt, persönlich und gesellschaftlich tragfähige Entscheidungen der Zustimmung oder des Widerspruchs zu treffen. Sabine Heilmann, Unna