piwik no script img

Katrin Seddig Fremd und befremdlichDie Sehnsucht nach dem Vertrauten rechtfertigt nicht den Rassismus

Lou Probsthayn

Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Traditionen sind heilige Kühe. Manche machen sich in die Hose, vor Angst, dass man sie ihnen wegnehmen könnte. Sie nehmen uns unsere Traditionen, heulen sie. Ich kann sie verstehen. Ich hänge auch an meinen eigenen Traditionen. Ich bin ganz verrückt nach Weihnachten. Meine Kinder lachen mich aus. Aber ich bin verrückt nach Weihnachten. Schon meine Mutter war verrückt nach Weihnachten, und so ist das auf mich übergegangen.

Traditionen stehen der Erneuerung gegenüber. Je mehr Neues, Unbekanntes auf uns zukommt, umso stärker sehnen wir uns nach dem Vertrauten. Einen Halt braucht der Mensch, etwas Verlässliches. Das ist allerdings auch der einzige Pfeiler, auf dem die Tradition steht. Die Erneuerung ist das Wesen allen Wachstums.

Die Tradition ist etwas, das wir mitschleppen. Weil wir es heimelig haben wollen, in der Fremde des Neuen. Die Sehnsucht nach dem Alten, nach der Kindheit ja eigentlich, kann ich verstehen. Ich fühle ja ebenso, ich würde fast sagen, jeder Mensch fühlt so, wenn er nicht seine Vergangenheit vollständig ablehnt.

Aber, auch Traditionen ändern sich, wenn auch auf eine fast unmerkliche Art und Weise. Seit einiger Zeit haben wir diesen Weihnachtsmann mit dem roten Gewand, den hat es früher ja gar nicht gegeben. Halloween hat es in meiner Kindheit auch nicht gegeben, aber schon meine eigenen Kinder sind damit aufgewachsen. Und die familiären Traditionen ändern sich. Eine Gans gibt es in unserer Familie nicht mehr, weil niemand mehr Fleisch isst.

Den Kindern wird nicht mehr mit dem Weihnachtsmann gedroht, wie es in meiner frühen Kindheit durchaus noch der Fall war. Da haben die Kinder noch geweint, wenn der Weihnachtsmann um die Ecke guckte. Wünscht sich jemand die Tradition des Rute schwingenden Knecht Ruprechts zurück? Ich glaube nicht. Es ist richtig und notwendig auch die Traditionen einer Änderung zu unterwerfen, wenn Bestandteile des traditionellen Brauches sich als schlecht erweisen. Wir lassen ja auch keine Hexen mehr verbrennen.

In den Niederlanden, da haben sie die Tradition des Sinterklaas und des Zwarte Pieten. Der Sinterklaas, das ist der Heilige Nikolaus, der am 5. Dezember den Kindern die Geschenke bringt. Der Zwarte Piet, der begleitet den Sinterklaas und bestraft die bösen Kinder. Das Bestrafen ist inzwischen abgeschafft, der Zwarte Piet nicht. Der Zwarte Piet hat ein schwarz geschminktes Gesicht, rote, dicke Lippen und Kraushaar. Gekleidet ist er wie ein orientalischer Diener. Wie zum Beispiel auch der Sarotti-Mohr.

Der Zwarte Piet wurde früher auch Moor genannt. Heute heißt er nicht mehr Moor und es wird meistens abgestritten, dass es sich um einen solchen handeln soll. Vielmehr soll der Zwarte Piet sich nur durch den Schornstein schwarz färben haben lassen. Solch eine Erklärung hat sicherlich ihre Wurzel im Wunsche. Im Übrigen müsste der ebenfalls durch die Esse kletternde Sinterklaas dann ebenso schwarz daherkommen.

Tradition ist etwas, das wir mitschleppen, weil wir es heimelig haben wollen

Ich habe bereits einmal meine Kolumne diesem Thema gewidmet. Dieses traditionelle Spektakel kommt jedes Jahr auf Besuch in die niedersächsische Grenzstadt Emden. Auch die Emdener begrüßen freudig den Sinterklaas mit seinen schwarzen Dienern. Denn es ist eine ganze Schar solcher schwarzer Leute mit ihm. Schon lange gibt es die Diskussion um den Zwarte Piet und ich kann es nicht glauben, dass es keinen Fortschritt in dieser Geschichte gibt.

Ich verstehe ja, dass Menschen an ihren Traditionen hängen. Aber doch nicht auf Kosten anderer Menschen, die Jahrhunderte versklavt, unterdrückt und heute noch wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert werden. Gerade in seiner Funktion als Diener darf doch ein schwarzbemaltes Gesicht nicht mehr auftauchen. Überhaupt dürfen schwarzbemalte Gesichter nicht mehr auftauchen, keine Kraushaarperücken, keine dicken Lippen. Das sind rassistische Stereotypen, damit tun sie doch anderen Menschen weh! Ist das denn so schwer zu verstehen, liebe Emdener, liebe Niederländer?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen