Schweinemäster muss „Kälber“ fürchten

taz geht wählen – die Serie zur Bundestagswahl am 18. September. Die 64 nordrhein-westfälischen Direktwahlkreise im Portrait. Wer kämpft um das Mandat? Wer sind die Außenseiter? Wer gewinnt? Heute: Borken II

Borken II?Im 30-jährigen Krieg stampften spanische Soldaten durch die platte Landschaft im westlichen Münsterland. Seitdem hat sich die Lage stabilisiert. Der Landkreis Borken an der niederländischen Grenze gehört zu den wirtschaftlich starken in NRW. Hier wohnen gute Steuerzahler, etwa aus dem Profikader des FC Schalke 04. Politisch ist der Kreis schwarz. Aber die ländliche Wählerschaft in Borken II ist launisch wie eine vernachlässigte Milchkuh. Erst bei der NRW-Kommunalwahl 2004 fiel Bocholt, mit 70.000 Einwohnern größte Stadt im Kreis, nach über 50 Jahren CDU-Herrschaft an die SPD. Und in Rhede regiert ein grüner Bürgermeister.Wer verteidigt den Wahlkreis?Christdemokrat Johannes Röring tritt in die Fußstapfen von CDU-Wahlkreisinhaberin Elke Wülfing, die nicht erneut kandidiert. Der 46-jährige Röring, Gründer eines Schweinemastbetriebs und Inhaber einer Firma für Düngemittelerzeugung, hat eine lange konservative Tradition fortzusetzen. Hermann-Josef Unland, Rörings Vorvorgänger als Borkener CDU-Kandidat, gehörte zu jenen zwei, drei Unionsabgeordneten, die am Abend des 9. November 1989 im Bonner Bundestag aufstanden und die Nationalhymne sangen, als sie die Nachricht vom Mauerfall erhielten.Wer will den Wahlkreis?Der 47-jährige Journalist Christoph Pries tritt ebenfalls eine Nachfolge an. Hans-Peter Kemper, SPD-Abgeordneter aus Heiden, Mitglied im konservativen „Seeheimer Kreis“ und mächtiger Chef der NRW-SPD-Landesgruppe in Berlin, mochte bei der vorgezogenen Neuwahl nicht mehr mitmachen. Der sonst 100 Prozent kanzlertreue Strippenzieher Kemper erlaubte sich als letzte Amtshandlung, Gerd Schröder entgegen dessen Bitten das Vertrauen auszusprechen. Der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung erwies seiner Kreispartei im übrigen einen letzten Dienst. Im Landesvorstand der SPD boxte Kemper durch, dass Nachfolger Pries einen sicheren Listenplatz erhält.Der große Außenseiter?Das ist ganz klar Linkspartei-Kandidat Rainer Sauer. Der verdi-Gewerkschaftsfunktionär und Gründungsmitglied der Wahlalternative WASG kandidiert in der münsterländischen Prärie wohl auf verlorenem Posten. Dafür hat er einen Sonderpreis für die schönsten Tafeln und Transparente verdient. Sauer schleppt zu jedem WASG-Treffen seine Riesenbanderole „Wahlalternative Bocholt“ mit. Zur Belohnung kann Sauer regelmäßig in der Tagesschau sehen, wie Oskar Lafontaine vor seinem Transparent große Reden schwingt.Die taz-Prognose?Weil das geflügelte Edmund-Stoiber-Wort „Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber“ im Münsterland natürlich nicht gilt, darf sich CDU-Schweinemäster Röring seiner Sache nicht zu sicher sein. Die „klugen Bevölkerungsteile“ zwischen Bocholt und Vreden kreuzen meistens CDU an, aber nicht immer. MARTIN TEIGELER