Komik als Welteröffnungstechnik

Kommunikation ist das Thema in den Arbeiten der Künstlerin Nine Budde – und zwar Kommunikation, die zum Desaster gerät. Berlin ist für sie nur eine Stadt des Transits, ihre Arbeitsnetzwerke spannt sie mittlerweile bis nach Tokio und in die USA aus

VON NORA SDUN

„In Berlin wohne ich, weil ich mir dann keine Gedanken machen muss, ob ich vielleicht doch nach Berlin ziehen sollte“, sagt sie. Nine Budde, geboren 1975, sitzt auf dem Balkon ihrer Wohnung im Wedding und schlingt sich fröstelnd einen blauen Schal um die Arme: „Aber Berlin bleibt für mich eine Stadt des Transits. Irgendwie ist hier zu wenig Spannung, es verdampft alles so schnell. Vielleicht liegt diese Stadt zu breit und ausgewalzt im preußischen Sand.“ Entwaffnend geradeaus.

Dabei hat sie es eigentlich mit Städten: In vielen ihrer Arbeiten geht es Nine Budde, die in Weimar Freie Kunst studiert hat, um Besetzung von Stadtraum und darum, wer ihn sich wie nimmt. Als sie ordnungswidrig ein Haus zumauern ließ, gab es fürchterlichen Ärger. Und auch ihre in Weimar, wo sie studiert hat, legal angebrachten Wandmosaiken mit Tattoomotiven sind längst wieder übersprüht. Ob legal oder illegal, Nine Budde provoziert Interaktion. Mit ihrer Kunst – ob Installation, Objekt oder Video – macht sie ein komplexes Angebot, dessen Verzweigungen man nicht überblicken muss, um es anzunehmen. Wandarbeiten an Graffitiwänden werden von Sprayern natürlich in deren Sinne kommentiert. „Reaktionen vom Publikum gehören zu den unkontrollierbaren, aber erwarteten Bestandteilen meiner Arbeit.“

Kommunikation ist Nine Buddes Thema – und zwar Kommunikation, die zum Desaster gerät. Im Ausstellungsparcours „lovebattle“, den sie im Kunstverein Arnsberg aufbaute, konnte man über ein Babyphone Skater belauschen, die sich vor dem Gebäude auf der Halfpipe produzierten. Dann konnte man die Skater daten, sich mit ihnen fotografieren und zur Krönung tätowieren lassen. Ein wahnwitzig realer Mädchentraum, der nur im Kunstverein in Erfüllung gehen kann: Im Rahmen eines unpraktischen Kommunikationsmoduls, das sich mit unserem oft absurd verschlungenen Sozialverhalten gleichzeitig beißt und deckt. In die Alltagspraxis lässt sich nur das Tattoo retten.

Aus dem Hin- und Herschnappen von Kunstkonzept und Reaktion resultiert die Komik von Nine Buddes Arbeiten. „Komik ist eine Welteröffnungstechnik“, sagt sie und berichtet von der Überschwemmung, mit der ihre Karriere als selbstständige Künstlerin begann: Ein Pool lief aus, der Fußboden war ruiniert, aber die Katastrophe machte eine Kuratorin aufmerksam.

Um wasserdichte Konzepte geht es aber nicht – zu groß ist der Spielraum, der Zuschauern und Benutzern gelassen wird, wenn Nine Budde romantische Vorstellungen von Schönheit, Liebe, Trampen und Reisen auf ihre Belastbarkeit prüft. Dazu produziert Nine Budde oft Videos. Sie hat dieses Medium gewählt, weil die Echtzeit ihr Ehrlichkeit und Dilettantismus beim Arbeiten erlaubt. Als Videokünstlerin sieht sie sich aber auch wieder nicht: Ihr Interesse liegt bei den Narrationsmöglichkeiten, nicht auf videotechnischem Budenzauber. Früher war sie selbst Darstellerin in ihren Performances und Filmen. Das ließ sie sein, weil das Publikum zu offensichtlich auf laufende Bilder mit einer großen blonden Frau fixiert war. Jetzt dürfen andere die Protagonisten spielen.

Was andere bitte auch gern übernehmen dürfen, sind Galerien-Rundgänge. Nine Budde geht selten zu Ausstellungseröffnungen: „Die Rituale dort sind mir zu starr. Ich fürchte das Diktat der Integration, die Gefallsucht, die eigene Missgunst.“ Kontakte zu Kuratoren und anderen Künstlern ergeben sich im Zusammenhang mit eigenen Ausstellungsprojekten, nüchterner Recherche und über Empfehlungen, die ohne Prosecco in der Hand ausgesprochen werden. Ihre Arbeitsnetzwerke nur auf Berlin zu konzentrieren ist Nine Buddes Sache nicht.

Mit halbem Ernst, aber ganz bei der Sache überlegt Nine Budde zurzeit, ob sie nicht als Handleserin arbeiten soll. Wenn das nicht klappt, geht sie in die USA: „Der Aktivismus da ist so krass – first act then think! Ich brauche ab und zu Urlaub vom pseudoverkopften Deutschland.“ Sagt sie und plant erst mal an der Tokioter Installation: einen Schwarzweißfilm, in dem ein Käfer einen Schwan bepisst, bis der zusammenbricht, Bilder von Berliner Straßen, Mercedessternen und zusammensackenden Großstädten.

Nächste Ausstellungen von Nine Budde: Tokio, Session House, Takashi Ito 1. 10. bis 10. 10.; Wien, Sammlung Essl, 11. 11. 05–29. 1. 06