berliner szenen
: Der Mann am Baum

Andreas war sich zwar dessen bewusst, dass es Obdachlose gab, er kam aus einer 1000-Seelen-Gemeinde und da gab es einige ärmlicher lebende Menschen, von denen der eine oder andere vielleicht auf der Straße lebte. Aber dieser Mann, den er jetzt, seit er in Berlin wohnte, ein paar Mal auf dem Mehringdamm gesehen hatte, war anders. Irgendwie zog es ihn zu diesem Mann, also zog er los, um ihn zu suchen. Gleichzeitig verspürte er Ekel vor ihm, aber Angst wollte er keine haben.

Er fand ihn an einem Baum gelehnt auf der Straße sitzend. Andreas blieb in einiger Distanz stehen und beobachtete ihn. Der Mann gestikulierte mit seinen Armen herum und redete etwas in sich hinein. Einer seiner Füße war zu einem Klumpen mit seiner lumpigen Hose verwachsen, sein Kopf hatte diese Einkerbungen, die daher rühren, wenn man sich büschelweise die Haare selbst schneidet, und seine Haut war übersät von Pusteln und bedeckt von asphaltgrauem Dreck.

Andreas näherte sich langsam und bestimmt und ließ sich mit dem Rücken am Baum heruntergleiten. Der Mann unterbrach seine Rede und Gesten etwas bestürzt, hob kurz den Kopf etwas zu ihm hinüber, ließ ihn dann wieder fallen, um nach wenigen Momenten wieder in seine lautmalerische Brabbelei zu verfallen. Andreas begrüßte den Mann kurz und freundlich. Der grüßte ihn etwas verstockt zurück. Wieder Stille. Andreas öffnete sich das Bier, das er mitgebracht hatte, prostete dem Mann zu und bot ihm eine Zigarette an, die dieser annahm. Beide rauchten und tranken Bier. Menschen liefen vorbei und schauten manchmal so, als ob sie etwas seltsam fänden. Die beiden Männer saßen eine ganze Weile da, bis der Mann aufstand und weghumpelte. Andreas blickte ihm kurz hinterher, stand dann ebenfalls auf und ging. Gabriel v. Loebell-Herberstein