Nils Schuhmacher Hamburger Soundtrack: Durst und Wurst
Eine unschöne Erfahrung machte Anfang November das Vijay Iyer Trio in der Elbphilharmonie. Der Veranstalter hatte nämlich darauf vertraut, dass Menschen in ein Konzert gehen wegen der Musik. Sie machen aber, wie man jetzt weiß, häufig ihre ganz eigene Kosten-Nutzen-Rechnung auf. Sie blinzeln ein bisschen im Konzertsaal herum, haben sich dann schnell sattgesehen und stillen ihren restlichen Hunger draußen vor der Tür mit einer Brezel oder im Touristenbus mit einem mitgebrachten Wurstbrot. „Musik“ ist hier nur ein Nebenschauplatz, da kann die Band noch so virtuos daherkommen. Ihr Problem bleibt, dass viele Jazz lieber nur in der Version von Joja Wendt hören.
Veranstalter Karsten Jahnke erklärte im Nachhinein konsterniert: „Hinterher ist man immer schlauer.“ Und zog in Erwägung, solche Veranstaltungen zukünftig wieder in der Laeiszhalle zu buchen. Wie schlau nun die Veranstalter von Chuck Ragan (4. 12., Laieszhalle) sind, muss sich noch erweisen. Mit seiner Post-Hardcore-Band Hot Water Music und später als Solo-Unternehmen war Ragan in der Vergangenheit eher an unbestuhlten Orten wie dem Hafenklang oder dem Molotow zu Hause, und man konnte zu den deutlich ins Hymnenhafte abdriftenden Folkrock-Songs ordentlich Bier auf die Umstehenden regnen lassen.
Das wird in der Laieszhalle natürlich so nicht möglich sein. Für alle, die keine Karten mehr bekommen haben, bleibt damit die Hoffnung, dass die Hälfte vorher nach draußen zu den Getränken und die mitgebrachten Busse gestrebt ist und man nachrücken kann. Oder sie verlegen sich gleich auf einen anderen Ort mit ähnlicher Musik. Tatsächlich hören sich Deer Tick (27. 11., Häkken) ein bisschen wie ein Chuck Ragan ohne Hardcore-Hintergrund an. Die Stimme von Sänger John McCauley ist auch „rau“, aber im Vergleich zum Erstgenannten eben nur relativ rau. Die Musik ist auch vom selben folkloristischen Überschwang, aber eben doch mehr Indie als schweißig. Denkt man sich so. Allerdings darf die ausschweifende Schnoddrigkeit nicht übersehen werden, die die Band insbesondere live auszeichnet. Und wer früher gehen will, hat schlechte Karten, denn McCauley wird eine ausgeprägte Neigung nachgesagt, sein Publikum in Gespräche zu verwickeln. Und schon siegt Höflichkeit über Durst und Wurst.
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