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Sci-Fi mit Schere und Papier

Mit „Iota.Ki“ kehrt Performance-Kollektiv Sputnic zurück ans Junge Theater Bremen. Ihre Verbindung von Schauspiel, Performance und Illustration ist so einzigartig wie zeitgemäß

In der Theaterwerkstatt werden frisch geschnittene „Iota.Ki“-Figuren ausprobiert Foto: Jan-Paul Koopmann

Von Jan-Paul Koopmann

Es gibt so Moden, die kommen dann doch überraschend. Oder hatten Sie etwa mit dem Bremer Scherenschnitt-Revival gerechnet? Die Kunsthalle stellt welche aus, die Märchenerzähler Hans Christian Andersen geschnibbelt hat. Künstler Johann Büsen verklebt sie im Stadtbild. Am Theater hat die leitende Regisseurin Alize Zandwijk kürzlich im Storm’schen „Schimmelreiter“ eine Silhouetten-Prozessionen in Scherenschnitt-Optik über den Deich marschieren lassen. Und jetzt ist das Junge Theater im Brauhaus an der Reihe: Für die am Samstag Premiere feiernde Produktion „Iota.Ki“ hat man zwei Comickünstlerinnen engagiert, um dem Stück ein virtuelles Bühnenbild zu animieren – mit eben Scherenschnitten.

Nun stehen die ausgeschnittenen Risse fast sinnbildlich für das Handgemachte in der reproduzierenden Kunst. Oder, weil „Iota.Ki“ ein Science-Fiction-Stück ist, für das Analoge in der virtuellen Realität. Was schon bei den Proben deutlich wird: Die von Hand bewegten Figuren aus Karton wirken sehr viel menschlicher als es Computeranimationen tun, die heutzutage immer mehr wie echte Bio­menschen aussehen.

Tatsächlich ist die grafische Arbeit hier weit mehr als nur ein bisschen Illustration am Bühnenrand. Die Zeichnerinnen Jennifer Daniel und Julia Zejn haben am Storyboard gearbeitet, die Hintergründe gemalt und Figuren designt, die sich tatsächlich darin bewegen und mit den Schauspieler*innen interagieren.

Die Astronomie-Studentin Anna zum Beispiel und ihre Schöpfung Iota, eine künstliche Intelligenz. Auch wenn später natürlich alles anders kommt als gedacht, ist diese KI zunächst ein Arbeitsgerät, kein zum Selbstzweck hergestelltes Wesen à la Frankensteins Monster. Iota hat den eher banalen Job, im riesigen Datenwust, den Annas Teleskope im All aufschnappen, nach Spuren außerirdischen Lebens zu wühlen.

Die Zutaten sind nicht so wahnsinnig weit von der Gegenwart entfernt, und auch sonst ist „Iota.Ki“ keine Genreklamotte. Obwohl es bald unübersichtlicher wird: Alternative Realitäten kommen vor, die ganz großen Sinnfragen und vor allem Leute, die irgendwie miteinander auskommen müssen – egal, ob es nun Menschen sind, Maschinen oder doch irgendwie beides.

Sci-Fi in Retrooptik folgt einem Trend, der auch auf der Kinoleinwand zu beobachten ist. Noch Anfang des Jahrtausends hat sich der fantastische Film pseudo-realistisch ausgetobt im Glauben, man könne nun endlich alles Vorstellbare auch optisch aus dem Computer schütteln. Dafür stehen diese sterbenslangweiligen Verfilmungen als bis dato unverfilmbar geltende Geschichten: „Der Herr der Ringe“ natürlich, die „Star Wars“ Prequels und unzählige Comics von Marvel, D. C. und selbst Indieverlagen.

Eine Weile ging das gut, bis die ersten Alters- und Ermüdungserscheinungen auftraten und sich jenseits der „Höher, schneller, weiter“-Fraktion wieder Experimentierfreude breit machte: Unter dem Motto mindestens vorgegaukelter Verknappung kamen Animationen, die nach Knete aussahen wie Häkelfiguren oder als wären sie aus Lego. Wenn am Theater nun Scherenschnitte auf Overheadprojektoren herumgeschoben werden, ist das also doch mindestens anschlussfähig an das, was im Genre heute angesagt ist.

Science-Fiction in Retrooptik folgt einem Trend, der gerade auch im Kino um sich greift

So hat die Besetzung bei den „Iota.Ki“-Proben tatsächlich Neues zu lernen: auf diversen Overheadprojektoren schieben sie live die beweglichen Scherenschnitte herum, projizieren sie auf Leinwände, die von wieder anderen Schauspiel*innen durch den Raum getragen werden. „Live Animation Cinema“ nennt das Sputnic-Kollektiv diese einmalige Melange aus Illustration, Schauspiel, Performance und Film. In Bremen hat 2016 bereits die Produktion „Out of Control“ begeistert.

Für Jennifer Daniel und Julia Zejn ist die Arbeit mit der Premiere getan, sie haben ihre Bilder wortwörtlich ans Schauspiel übergeben. Beide arbeiten neben diesen Theaterjobs auch an Comics. Julia Zejn hat gerade ihr Debüt „Drei Wege“ im Avant-Verlag veröffentlicht. Jennifer Daniel hat unter anderem den Comic „Earth Unplugged“ im Jaja-Verlag.

Ob das Stück hält, was die Zutaten versprechen, wird sich am Samstag zeigen. Die Chancen stehen allerdings ziemlich gut.

Iota.Ki“: Premiere Sa, 24. 11., 19 Uhr, Brauhaus

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