SS-Wachmann angeklagt

In Neukölln lebender 95-Jähriger wird der Beihilfe zum Mord im KZ Mauthausen beschuldigt

Von Klaus Hillenbrand

Das Berliner Landgericht muss darüber entscheiden, ob einem heute 95-Jährigen ehemaligen SS-Wachmann des KZ Mauthausen der Prozess gemacht wird. Dazu muss überprüft werden, ob der Mann verhandlungsfähig ist, sagte die Sprecherin der Berliner Strafgerichte der taz. Wann eine Entscheidung fällt, sei derzeit nicht absehbar. Hans H. lebt in einer Neuköllner Hochhaussiedlung in eigener Wohnung.

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt H. der Beihilfe zum Mord in mehr als 36.000 Fällen und hat Ende letzter Woche Anklage erhoben. Der Mann soll zwischen dem Sommer 1944 und dem Frühjahr 1945 als Angehöriger der 16. Kompanie des SS-Totenkopfsturmbannes im KZ Mauthausen im heutigen Österreich Wachdienste übernommen haben.

Dem Angeklagten wird kein individueller Mord vorgeworfen. Er habe aber durch seinen Einsatz Tötungshandlungen erleichtert oder gefördert. Ihm seien die Mordmethoden bekannt gewesen. Nach der jüngeren Rechtsprechung genügt zu einer Verurteilung, wenn der Beschuldigte in einen organisierten Tötungsprozess eingebunden war.

Während der Zeit von H.s Einsatz seien in Mauthausen mindestens 36.223 Menschen umgebracht worden, so die Generalstaatsanwaltschaft Berlin. Menschen seien vergast, erschossen und durch Injektionen getötet worden. Zudem seien viele Häftlinge aufgrund der dramatischen Lebensumstände – Kälte, unzureichende Nahrungsmittel und medizinische Versorgung – ums Leben gekommen. In dem KZ wurden zudem „Totbadeaktionen“ praktiziert, bei denen Häftlinge in eiskaltem Wasser abgeduscht wurden und sich danach nackt versammeln mussten. Viele Opfer starben, andere wurden totgeschlagen.

Der Angeklagte bestreitet nach Angaben der Sprecherin des Strafgerichts die Schuld. Er habe zwar zur SS-Mannschaft von Mauthausen gehört, sei aber nicht im KZ eingesetzt worden, sondern habe im Linzer Rüstungsbetrieb „Hermann-Göring-Werke“ Gefangene bewacht. Laut einer Mannschaftsliste soll H. dagegen als Rottenführer in dem KZ selbst tätig gewesen sein.

Die Anklage geht auf Vorermittlungen der Zentralen Stelle zur Ermittlung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg zurück. Der dortige Oberstaatsanwalt Jens Rommel sagte der taz, man habe den Fall im November 2017 an die Berliner Staatsanwaltschaft abgegeben.

Nach Rommels Angaben bestehen derzeit vier weitere Anklagen gegen frühere KZ-Wachmänner. In Münster steht seit Monatsbeginn ein 94-Jähriger vor Gericht, der im KZ Stutthof eingesetzt war, in einem zweiten Fall prüft das dortige Gericht, ob der Beschuldigte verhandlungsfähig ist. In Frankfurt am Main geht es gegen einen Wachmann von Majdanek und in Stuttgart ist ein Auschwitz-Wächter angeklagt.

Ermittlungen laufen nach Rommels Angaben derzeit gegen rund 20 Frauen und Männer. Dazu zählen mehrere Verfahren gegen Beschuldigte,die in Buchenwald und Ravensbrück im Einsatz waren. Weiterhin wird die Anklageerhebung gegen Personen geprüft, die in Stutthof Dienst taten oder sich beim Massenmord an Juden in der Schlucht von Babi Jar bei Kiew beteiligt haben sollen.