Genforschung frisst viele Labormäuse

Forscher nutzen immer mehr Maus-Mutanten, um Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes oder Krebs zu verstehen

MÜNCHEN taz ■ Die Gene von Maus und Mensch gleichen sich zu etwa 95 Prozent. Den Mäusen wird das jetzt zum Verhängnis. Während Wissenschaftler weltweit daran arbeiten, für Tierversuche Ersatz zu finden, ist der „Verbrauch“ von Labormäusen in der letzten Zeit besonders stark gestiegen. Standen 1996 noch 700.000 Mäuse im Dienst der Wissenschaft, sind es derzeit mehr als 1 Million. Die Nager sollen helfen, Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Übergewicht besser zu verstehen.

Für Steffen Seckler vom Deutschen Tierschutzbund steht fest: „Die Tiere leiden besonders.“ Transgene Mäuse werden mühsam gezüchtet. Die Labore unterliegen strengen Hygienebestimmungen. Keine der Mäuse darf mit einer Krankheit in Berührung kommen. Die Genforscher behandeln die kleinen Nager so, dass eines ihrer Gene mutieren oder ausgeschaltet werden kann. Sie setzen etwa ein Gen eines Bakteriums oder einer Fliege in die Maus ein. Früher mussten die Wissenschaftler warten, bis spontane Mutationen auftraten. Heute erzeugen sie sie künstlich.

Der veränderte Abschnitt des Erbguts, den die Mäuse in sich tragen, löst eine bestimmte Krankheit aus. Die Mäuse bekommen Bluthochdruck, Übergewicht oder Krebs. Die Wissenschaftler wollen so herausfinden, warum und wie die Krankheiten entstehen. Später soll die Forschung dann ihre Anwendung in der Medizin finden. Immerhin sterben über 80 Prozent der Deutschen an einer der drei genannten Krankheiten.

Die Mäuse im Labor, aber auch die Ratten oder Minischweine leiden für den Menschen. Walter Pfaller vom österreichischen Zentrums für Ersatz- und Ergänzungsmethoden (zet) zu Tierversuchen weiß: „Viele Zuchttiere überleben oft die ersten Tage nicht.“ Zudem würden auch Tiere geboren, die die genetische Veränderung nicht oder nur unzureichend aufweisen. Sie würden sofort getötet.

Die Forscher sind sich noch unklar, welches Leid die mutierten Mäuse empfinden. Das zet hat dazu eine umfangreiche Studie durchgeführt. Ihr Fazit: Das Forschen an solchen Tieren ist moralisch vertretbar, weil sie zur Heilung und zum Verständnis menschlicher Krankheiten beitragen können. Ethisch seien diese Versuche jedoch keineswegs vertretbar, da sie in besonderem Maße die Würde des Tieres verletzten.

So einfach lassen sich die Versuche nicht ersetzen, sollen die Krankheiten genauer erforscht werden. Gene, so sagt Experte Pfaller, könnten zwar auch an menschlichen Zellkulturen untersucht werden. Die hätten sogar den Vorteil, dass sich die Ergebnisse einfach übertragen ließen. Trotzdem reichen die Erkenntnisse, die dadurch gewonnen werden könnten, laut Pfaller „nicht an die mit transgenen Tieren heran“. KATHRIN BURGER