Meisterhaft ist nicht Ikea

KNASTÄSTHETIK Was Häftlinge produzieren, muss nicht hässlich sein: Die JVA Brandenburg baut Designer-Möbel

Hessen: Die JVA Hünfeld röstet den Biokaffee „hinter Gittern“: jva-onlineshop.de

Brandenburg: Die Gartenmöbel und Schwibbögen der JVA Brandenburg gibt’s online bei meisterhaft-brandenburg.de

Berlin: Wohl die bekannteste Marke für Knastwear aus der JVA Berlin-Tegel: haeftling.de

NRW: Die Werkstätten in Nordrhein-Westfalen haben sich auf Weihnachtsprodukte spezialisiert: knastladen.de

Niedersachsen: Aktengurte und Blumen aus der Fertigung hinter Gittern: jva-online-shop.de

Sachsen: Vertreiben Laufgitter und Brotkörbe: gitterladen.de

VON SIMONE SCHMOLLACK

Es sieht aus wie das „Expedit“-Regal von Ikea. Aber es ist viel besser als das schwedische Modell zum Selberzusammenschrauben, es hat nämlich einen Vollsockel und ist fest verleimt. Und es ist aus dem Knast. Seit fünf Jahren bauen Häftlinge der Justizvollzugsanstalt (JVA) Brandenburg an der Havel das Regal in Grau, Birke, Buche und Eiche. Es kostet 147 Euro, kaufen kann man es im gerade eröffneten Onlineshop – und im Gefängnisladen direkt auf dem Anstaltsgelände, der nach Umbau am 2. November wiedereröffnet.

Im Shop der JVA gibt es auch viele andere Produkte, die man nirgendwo anders bekommt. Das Gartenmöbelset „Lebenslänglich“ zum Beispiel: ein Tisch mit vier Abstellflächen unter der Platte und passenden Sitzbänken dazu. Die Schubladen kann man herausziehen und als Tablett benutzen.

Die Gartenmöbel für 650 Euro sind Produkt einer bundesweit bislang einzigartigen Kooperation zwischen der JVA Brandenburg und der Fachhochschule für Design in Potsdam, die unter den Studenten einen Wettbewerb ausgelobt hatte. „Es waren viele tolle Ideen dabei“, sagt Jörg-Peter Futh, 59, Chef der Gefängniswerkstätten. „Aber wir mussten uns auf drei beschränken.“ Die anderen Sieger sind der zerlegbare Gartentisch „Rohrschach“ (450 Euro) und das Label „Meisterhaft“ für Textilien. Ein Wortspiel: Die Gefangenen nennen ihre Wärter Meister.

Produkte aus dem Knast liegen draußen in der Freiheit voll im Trend. Viele deutsche Gefängnisse produzieren inzwischen für den „öffentlichen“ Markt und verkaufen die Gegenstände, die auch im Alltag vor den Gittern von Nutzen sind: Stullenbretter, Eierbecher, Kerzenständer, Brillenhalter.

Trotz ihrer Designoffensive: Das Kerngeschäft der JVA Brandenburg, des ältesten Gefängnisses des Bundeslandes, sind und bleiben Oster- und Weihnachtsaccessoires. Zurzeit läuft die Produktion auf Hochtouren, in acht Wochen ist Weihnachten. Eine Woche braucht Michael L.* für „Wald 3“, dann ist die 40 Zentimeter hohe Pyramide aus Sperrholz fertig. In der Halle, in der er arbeitet, reihen sich die Lichtergestelle auf Paletten.

Die Nachfrage wird wie immer groß sein. Jedes Jahr tingelt die JVA mit Ständen über die Adventsmärkte in der Umgebung. Die Schwibbögen und Schneemänner sind die Kassenschlager.

Michael L. ist einer von 455 Männern, die im Gefängnis Brandenburg aktuell inhaftiert sind. Vom Schwarzfahrer bis zum Mörder ist alles dabei, von drei Tagen Knast bis „lebenslänglich“. 295 von ihnen arbeiten in der Tischlerei, Schneiderei, Schlosserei – oder in der Küche oder als Reinigungskraft. Der 32 Jahre alte L. ist in der Manufaktur tätig. Dort baut er neben Weihnachtsutensilien Vogelhäuschen, Hocker und Pflanztröge. Holz ist sein Element: Bevor L. vor drei Jahren hier „einfuhr“, war er Förster. Nun ist er froh, dass er arbeiten kann: „Macht Spaß und ist auf jeden Fall besser, als dumm rumsitzen“.

Und umsonst ist es ja auch nicht. Die Kunden, meist aus der Region, sind ganz scharf auf die Produkte aus dem Knast. „Weil es eine gute Qualität hat und etwas Besonderes ist“, sagt Gefängniswerkstättenchef Jörg-Peter Futh. Er hat Erfahrung damit, der 59-jährige Maschinenbauingenieur arbeitet schon seit 1977 hinter Gittern. Das, was Knackis gebaut haben, hat offenbar einen Außenseitercharme und damit einen ganz eigenen Reiz. Und: Ikea hat jeder, einen Sessel aus dem Knast nicht. Sogar Richter und Anwälte sollen Hemden des Labels „Häftling“ tragen. Mit dieser Modemarke der JVA Berlin-Tegel wird in Hamburg ein Shop betrieben, in zwölf weiteren Städten liegen ihre Sachen in den Läden.

„Weil es eine gute Qualität hat und etwas Besonderes ist“

JÖRG-PETER FUTH, CHEF DER GEFÄNGNISWERKSTÄTTEN, ÜBER DEN REIZ VON PRODUKTEN AUS DEM KNAST

Seit rund fünf Jahren verkauft die JVA Brandenburg ihre Erzeugnisse offensiv nach draußen, erweitet ihre Produktpalette immer weiter. Vorher stellten die Gefangenen vor allem Möbel für den Eigenbedarf her: Tische, Stühle, Schränke, Betten für die Zellen. Jetzt bauen sie moderne Büromöbel, stellen robuste Arbeitskleidung und Picknickrucksäcke her. Die Preisspanne reicht von 3 Euro für eine Buchstütze bis hin zu Schränken für 225 Euro. Die absoluten Renner sind gestreifte Schlafanzüge aus Baumwolle und Flanell (15 Euro), Feuerkörbe mit Grill in verschiedenen Größen (45 bis 70 Euro), ein Picknickgrill mit Sitzdecke und Tragetasche (75 Euro) und Holzvogelhäuschen (10 bis 35 Euro).

Was man weder im Netz noch im Shop findet, kann man in Auftrag geben. „Wir bauen alles, was die Kunden wollen“, sagt Jörg-Peter Futh. Die Insassen restaurieren auch Möbel. In der Holzwerkstatt steht eine Biedermeierkommode, am Aufsatz ist sie ein wenig abgeschabt. „Es gibt immer mal jemanden, der so etwas reparieren kann“, sagt Futh.

Mit den Produkten macht die JVA Brandenburg jährlich über 700.000 Euro Umsatz. Davon werden Kost, Logis und Lohn der Häftlinge bezahlt. Michael L. verdient 390 Euro im Monat, 205 Euro davon darf er behalten. „Das reicht“, sagt er. Der Rest geht auf ein Sparkonto, als „Einstiegsgeld“ – für später, wenn er wieder auf freiem Fuß ist.

* Name geändert