die woche in berlin
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Die Stadt will über Datenzugriffe besser informieren, das rechtsextreme Bündnis „Wir für Deutschland“ verabschiedet sich von Berlin, der Finanzsenator zieht nach dem Bankenskandal Bilanz, und Michael Müller wird beim „solidarischen Grundeinkommen“ von seiner Partei ausgebremst

Ein klein wenig mehr Transparenz

Neues System bei Funkzellenabfragen

Jede Funkzellenabfrage ist ein Eingriff in die Grundrechte der Bürger. In einem bestimmten Gebiet, zu einer bestimmten Zeit protokollieren staatliche Ermittler jeden Anruf, jede Nachricht, jede Verbindung ins Internet. In Berlin passiert das etwa 500-mal im Jahr, dabei werden 60 Millionen Daten gespeichert. Die BürgerInnen bekommen davon nichts mit, oft noch nicht mal, wenn sie ins Visier der Ermittler geraten. Dafür reicht es schon, wenn ihre Nummer noch bei einer anderen Funkzellenabfrage aufgetaucht ist. So leicht wird man zum potenziellen Serientäter.

Der Staat ist verpflichtet, die BürgerInnen über diesen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung zu informieren, zumindest im Nachhinein, wenn die dazugehörigen Ermittlungsverfahren abgeschlossen sind. Kein Bundesland hat sich bisher daran gehalten. Die Begründung: Um die Besitzer der betroffenen Handynummern zu informieren, müssten sie ausfindig gemacht werden. Dies würde den Grundrechteeingriff vertiefen. Weil Handynummern nach drei Monaten neu vergeben werden können, könnte bei einer pauschalen Nachricht an alle gespeicherten Nummern nicht sichergestellt werden, die richtigen Halter zu informieren.

Diese Woche hat Berlin eine Lösung präsentiert: das Funkzellenabfrage-Transparenz-System. Alle Interessierten können sich anonym unter fts.berlin.de anmelden und werden dann künftig darüber informiert, wenn ihre Handynummer bei einer Funkzellenabfrage registriert wurde. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) sprach vom „Neuland für Bürgerrechte“. Immerhin: Berlin zeigt, dass es bereit ist, seine gesetzlichen Verpflichtungen einzuhalten. Und ist dabei wenigstens einmal Vorreiter statt Bummelletzter.

Dirk Behrendt selbst rechnet mit einer niedrigen fünfstelligen Zahl von Personen, die sich registrieren lassen. Das ist wenig, zumal die Anmeldung alle drei Monate bestätigt werden muss. Die meisten BürgerInnen werden weiterhin nicht davon erfahren, dass ihre Daten gespeichert wurden. Den verbliebenen an Bürgerrechten Interessierten bietet sich dennoch eine Chance. Wann immer sie gespeichert wurden, können sie widersprechen. Die Folge wäre eine größere und kritischere Öffentlichkeit für eine Ermittlungsmethode, deren Sinn und Zweck längst nicht nachgewiesen ist. Erik Peter

Berlin ist wenigstens einmal Vorreiter statt Bummelletzter

Erik Peter über Fortschritte bei der Funkzellenabfrage

Skurril, aber nicht harmlos

Rechtsextremes Bündnis will nicht mehr

Das zumindest vorläufige Ende der rechtsextremen Gruppe „Wir für Deutschland“ ist genauso skurril wie die gesamte Organisation: Per Facebook-Livestream verkündete am Sonntagabend einer der beiden Chefs der Gruppe, der Brandenburger Rechtsextreme Kay Hönicke, „Wir für Deutschland“ werde künftig keine Demonstrationen mehr in Berlin veranstalten. Man habe keine Lust mehr, dort sinnlos im Kreis zu laufen und sich von der Antifa anschreien zu lassen, der Kampf gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel sei sowieso aussichtslos und die vielleicht am Ende auch doch gar nicht so schlimm.

Der merkwürdige Auftritt passt zu der Organisation, die seit Frühling 2016 regelmäßig Aufmärsche in Berlin veranstaltete: Bei „Wir für Deutschland“ sammelten sich nie die stramm durchorganisierten Neonazikader, die etwa die Rudolf-Heß-Gedenkmärsche in den letzten beiden Jahren dominierten. Die Organisation, ins Leben ­gerufen von dem umtriebigen ­Marzahner Rechts­extremen Enrico Stubbe, zog stattdessen eine sogenannte Mischszene aus rechten Hooligans, Ver­schwö­rungs­theoretikern, Anhängern rechtsextremer Split­tergruppen, flüchtlings- und islamfeindlichen Initiativen und weit rechts stehenden AfD-Mitgliedern an.

Allerdings: „Skurril“ heißt noch lange nicht „harmlos“. Laut Statistik der Polizei werden aus den Aufmärschen von „Wir für Deutschland“ heraus regelmäßig Straftaten begangen, darunter auch zahlreiche Körperverletzungsdelikte, weil beispielsweise Gegendemonstranten gewaltsam angegriffen werden. Und gerade als Sammelbecken aller möglichen rechten Strömungen dienten die Veranstaltungen der Szene auch immer als Ort der Vernetzung, weshalb sich dort sehr wohl auch NPD-Mitglieder, Kameradschaftler oder Aktivisten der Identitären Bewegung blicken ließen.

Sollte die Organisation also tatsächlich bei ihrer Absicht bleiben, künftig nicht mehr zu demonstrieren, wäre das eine sehr gute Nachricht. Zu verdanken ist sie dem ausdauernden zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Protest. Als Innensenator Andreas Geisel jüngst versuchte, die rechts­ex­treme Demonstration am 9. November zu verbieten, war das ein wichtiges Zeichen der Unterstützung – auch wenn er damit vor Gericht scheiterte. Solche deutlichen Signale müssen, gerade angesichts des aktuellen Rechtsrucks und gerade bei einem rot-rot-grünen Senat, von der Ausnahme zur Regel werden.

Malene Gürgen

Es war auch Glück dabei

Kein Verlust nach Bankenskandal

Plus minus null kommt das Land Berlin also wahrscheinlich aus der Affäre um die Bankgesellschaft heraus, jenem 1994 begonnenen abstrusen Versuch, durch Zusammenschluss von Landesbank samt Sparkasse, Berliner Bank und der Immobilienbank Berlin Hyp im großen Bankengeschäft mitzuspielen. Das scheiterte bekanntlich 2001. In den Unterlagen, die Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) am Dienstag an Journalisten verteilen ließ, finden sich für den besten Fall sogar 190 Millionen Gewinn.

War es also falsch, damals von der Bankgesellschaft als Milliardengrab zu reden? Hatten jene CDUler letztlich recht, die sagten, man werde am Ende ohne Verluste dastehen? Ist gar Klaus-Rüdiger Landowsky, der bis 2001 parallel die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus und eine wichtige Tochter der Bankgesellschaft führte, zu rehabilitieren?

Nein, nein und nochmals nein. Zum einen ist nämlich Kollatz’ Rechnung nicht ganz vollständig. Rund 7 Milliarden Euro zahlte Berlin aus dem im April 2002 beschlossenen 21,6 Milliarden umfassenden Rettungsschirm aus. Dem stehen etwa ebenso hohe Einnahmen durch Immobilienverkäufe aus dem Nachlass der Bankgesellschaft gegenüber. Beschränkt man sich darauf, stimmt das Urteil „plus minus null“. Dieser Blick ist aber zu eng. Denn vor der Krise besaß das Land diverse Banken, die im Normalfall zumindest leichte Gewinne in den Haushalt spülten – die gehören Berlin nun nicht mehr.

Zum anderen war Kollatz am Dienstag ehrlich genug, zu sagen, man habe zeitweise auch „das Glück des Tüchtigen gehabt“. Beispielsweise als man die letzte britische Immobilie aus dem Bankgesellschaft-Nachlass vor dem Brexit verkaufen konnte: Wenige Wochen später wäre das zu dem Preis nicht mehr möglich gewesen. 2011 noch war die Hoffnung auf ein gutes Ende so gering, dass sowohl die damals führenden Köpfe der SPD in Senat und Fraktion als auch die Linkspartei drauf und dran waren, den inzwischen in einem landeseigenen Unternehmen als „Bad Bank“ gebündelten wenig lukrativen Immobiliennachlass für vergleichsweise wenig Geld zu verkaufen. Man wollte – wenn auch mit Verlust – ein für alle Mal das Risiko los sein.

Das zeigt, wie sehr es anders hätte kommen können – und wie nah Berlin daran war, wegen der schier größenwahnsinnigen Politik des bis 2001 CDU-geführten rot-schwarzen Senats noch viele Milliarden mehr an Schulden aufzuhäufen. Die Berliner Geschichte muss also nicht umgeschrieben werden – auch hier nicht. Stefan Alberti

Ein schwieriger Balanceakt

Öffentliche Jobsfür Arbeitslose

Das von Michael Müller (SPD) groß in die Debatte gebrachte „solidarische Grundeinkommen“ wird also doch nur eine eher überschaubare Beschäftigungsmaßnahme: Wie in dieser Woche bekannt wurde, kann Berlin mit nur wenig finan­zieller Unterstützung des Bundes rechnen, den größeren Teil der Kosten für das Lieblingsprojekt des Regierenden Bürgermeisters muss das Land allein stemmen. 1.000 öffentlich geförderte Jobs für Arbeitslose plant Berlin, mehr ist erst mal nicht drin.

Das ist ärgerlich für den Regierenden Bürgermeister, der seinen Vorschlag verstanden wissen wollte als zentralen Baustein, um Hartz IV zu überwinden. Mit dem irreführenden Namen – um ein bedingungsloses Grundeinkommen ging es nie, das war von Beginn an Etikettenschwindel – erregte er kurzfristig viel Aufmerksamkeit. Gemessen daran, hat er am Ende in der Sache nicht viel vorzuweisen.

Müller wollte vor allem jenen öffentlich geförderte Jobs anbieten, die sonst vom Arbeitslosengeld I in Hartz IV fallen würden, also bereits nach ein bis zwei Jahren Arbeitslosigkeit. Ab Januar kommt jetzt erst mal das finanziell mit 4 Milliarden Euro sehr gut aufgestellte bundesweite Programm von Arbeitsminister Hubertus Heil, ebenfalls SPD. Der will Menschen in Arbeit bringen, die länger als sechs Jahre erwerbslos waren – und verweigerte Müllers Vorschlag die Unterstützung.

Tatsächlich kann man darüber streiten, ob jemand, der ein Jahr arbeitslos war, gleich eine öffentlich geförderte Stelle bekommen sollte. Diese Menschen haben deutlich bessere Chancen, aus eigenen Kräften wieder einen Job auf dem normalen Arbeitsmarkt zu finden als jene, die schon lange erwerbslos sind. Wenn vor allem die, die viele Runden im System gedreht haben und als nicht mehr vermittelbar gelten, eine neue Perspektive bekommen, ist das sicherlich richtig.

Zunächst bleibt aber abzuwarten, wie viele dieser Jobs sich überhaupt finden. Es sollen ja eben nicht überflüssige, sondern sinnvolle Tätigkeiten sein, die die Arbeitslosen verrichten. Die öffentliche Beschäftigung darf gleichzeitig keine echten Stellen verdrängen. Ein Ba­lance­akt, der auch bei früheren Beschäftigungsprogrammen nicht immer gelang. Antje Lang-Lendorff