wortwechsel
: Die Wahrheit ist ein scheues Reh. Wirklich?

Desinformation und Lügen sind uralte Kriegsstrategien. In Syrien werden selbst klare Ergebnisse von UN-Untersuchungen infrage gestellt. Was wird aus realen Fakten – im Krieg?

Wer hat die Bomben geworfen? Wer hat den Mais gekocht? Nachweisen lässt sich beides Foto: Marko Djurica/reuters

„Auf dem Friedhof des Postfaktischen“, taz vom 17./18. 11. 18

Russland und Assad

Kristin Helberg spricht mit ihrer Analyse zum Thema Wahrheiten im syrischen Bürgerkrieg wichtige Punkte an. Kommt man zum Beispiel bei Diskussionen auf die Giftgasangriffe zu sprechen, die, von der UN dokumentiert, dem Regime Assad zur Last gelegt werden, höre ich als Antwort häufig: „Das ist doch nicht bewiesen.“ Luftangriffe der Russen auf Bunker, Märkte, Krankenhäuser und Schulen – werden von vielen Leuten als Falschmeldung abgetan. Ob so viel Ignoranz und Borniertheit kann man nur verzweifeln. Es spricht leider gegen Russlands Regierung, die seit Jahrzehnten das verbrecherische Regime von Vater und Sohn Assad unterstützt. Clemens Ludewig, Hamburg

Objektive Wahrheit?

Auguste Comte und Karl Popper würden sich verneigen: Die große Fiktion abendländischer Wissenschaft, der Glaube an die objektive Wahrheit – lebt! Die reinen untrüglichen Fakten lügen nicht – oder doch? Eigentlich hat der Positivismusstreit in den siebziger Jahren mit diesem Irrglauben aufgeräumt –, dass er aktuell auflebt, unter dem Anspruch der neutralisierenden wissenschaftlichen Klarheit, ist so anachronistisch wie „fake“, gleich mehrfach: Erstens bezichtigt die Autorin ihre erfahrenen und sachkundigen Kollegen, die zu den Giftgasangriffen in Syrien differenzierte und fundierte Analysen präsentiert haben, indirekt der interessengeleiteten Lügen, eine unredliche und überhebliche Pose: Prof. Günter Meyer, die MIT-Professoren Richard Lloyd und Theodore A. Postol (beide ehemalige UN-Waffeninspekteure), Seymour M. Hersh (Journalist), die Professoren Ferrera de Noli und Anders Romelsjö, um nur einige zu nennen, deren Analysen und Expertisen jedermann, aber auch jederfrau verfügbar sind. Zweitens betten diese Rechercheure, im Unterschied zur Autorin, angebliche Fakten in Zusammenhänge ein, in denen sie entstanden sind, genutzt und missbraucht werden, in dem Wissen darum, dass nicht leblose Zahlen oder Daten, sondern ihre Interpretationen in die Nähe von Wahrheiten führen. Drittens beruhen die OPCW-Berichte auf Indizien, die selbst in massiger Fülle noch keine objektive Wahrheit ergeben, sondern nur eine Annäherung an sie, denn sie können manipuliert, gefälscht, „gefaked“ und ihre Bewertungen können interessengeleitet sein. Viertens verweist die Autorin selbst auf die Interessen hinter den angeblichen Wahrheiten, die von Medien und ExpertInnen verbreitet werden, folgt also dem Habermas’schen Diktum, dass Erkenntnis immer mit Interesse zu tun hat. Ich weiß nicht, wer für die Giftgaseinsätze in Syrien verantwortlich ist. Ich weiß aber, dass Wissenschaft, die sich aus der komplexen Dynamik von gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und medialen Zusammenhängen zu lösen meint, ihnen dienstbar wird und – vielleicht ungewollt – zur Stimmungsmache mutiert. Damit betrügt sie sich selbst und ihre Adressaten. Günter Rexilius, Mönchengladbach

Aus dem Nebel

Liebe Kristin Helberg, ja, „das Gefühl, es gar nicht wissen zu können“, hatte mich auch schon im Griff. Danke für die Befreiung aus diesem Nebel und die Klarheit! Wolfram Giese, Neu Wulmstorf

Die Rolle der CIA

In den 90er und den Anfängen des ersten Jahrzehnts in den 2000er Jahren wurde noch auf Diplomatie und Gespräche gesetzt. Vielleicht auch auf Fakten? Einige Nuancen des Postfaktischen sehe ich vielleicht als Pragmatiker anders als Sie, Frau Kristin Helberg. Ich würde nie behaupten, „dass manche Zeitungsleserin und mancher Fernsehzuschauer irgendwann beschloss, gar nichts mehr zu glauben“. Gar nichts zu glauben ist unmöglich! Dass wir mit Berichten und Artikeln kritischer umgehen müssen, haben die Zuschauer und Leser erkannt, weil Journalisten Tatsachen und Meinungen zunehmend vermengen.

Nach meiner Erfahrung gibt es weder Objektivität noch Wahrheit. Mir ist klar, ich werde „die Wahrheit“ nie finden! Aber ich bin stolz darauf, zu denen zu gehören, die sich auf die Suche nach der Wahrheit begeben haben.

Sie schreiben: „Als wären die Syrer ohne die CIA nicht in der Lage, gegen ein Unrechtssystem aufzustehen.“ Nach meinen Informationen hat die alawitische Familie al-Assad es mit strenger Hand geschafft, den säkularen Staat Syrien, in dem Schiiten, Sunniten, Juden, koptische Christen friedlich leben, zusammenzuhalten. Dass Interessen von außerhalb Einfluss nehmen wollen und dass der CIA hier aus Sicht der Menschenrechte eine unrühmliche Rolle gespielt hat und spielt, dürfte Ihnen nicht gänzlich verborgen geblieben sein. Sollten Sie als Politikwissenschaftlerin das Wort „unabhängig“ nicht nur dann verwenden, wenn Sie genau wissen, dass die Untersuchungskommission von Parteiinteressen, von religiösen, von finanziellen, von Machtinteressen unabhängig ist? Ist „eine öffentliche Faktenlage“ schon die Wahrheit? Norbert Voß, Berlin

Zu träge zum Suchen

Danke an die Autorin! Ich finde den Artikel richtig gut und wichtig, weil es so schwer ist, Wahrnehmung und Wahrheit zu differenzieren, und weil es so wichtig ist, sich weiter die Mühe zu machen. Mir geht es genauso wie beschrieben: Ich werde zu träge, nach der Wahrheit weiterzusuchen, und sei es nur, um weiter Unwahrheiten zu erkennen und nicht weiterzuverbreiten. Amazonas auf taz.de

Verzweifelt

Danke auch an die Autorin. Leider ist alles noch schlimmer als dargestellt.

Nzuli Sana auf taz.de

Die Legitimierung

In unseren Demokratien dient der Ruf nach Wahrheit und Tatsachen der Legitimierung moralisch umstrittener Verfahren wie Militärinterventionen und postkolonialem Strafrecht internationaler Prägung. Krampe auf taz.de