„Das Ganze ist extrem deprimierend“

TOURISMUS Mit massiver Kunstschneeproduktion will der Harz den alpinen Skizirkus anlocken. Hydrologin Carmen de Jong warnt vor einer Fehlinvestition mit üblen Folgen für Wasser, Boden, Luft und Tierwelt

■ 41, Hydrogeologin, Professorin an der Université de Savoie, Habilitation 2005 an der Uni Bonn mit Studien über Erosionsprozesse und Wasserbilanz der Alpen, über zehn Jahre Forschung zu Umweltfolgen künstlicher Beschneiung.

INTERVIEW BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Frau de Jong, was haben Sie gegen Ski-Paradiese?

Nichts. Ich habe nur etwas dagegen, was man heute darunter versteht, nämlich einen immensen Aufwand und garantierte Schneesicherheit bei egal welcher Temperatur und unabhängig vom Geländeprofil: Selbst auf der Insel Bornholm hat man jetzt gemeint, ein Skigebiet einrichten zu müssen.

Der Harz hat aber Wintersport-Tradition …

Da muss man schon unterscheiden: Der Harz war immer ein Langlaufgebiet, mit vielen Kilometern Loipen. Für alpin ist er ziemlich reizlos.

Das genau soll sich doch jetzt am Wurmberg ändern!

Mit 15 Kilometern neuer Piste? Das ist kaum wahrscheinlich. Zumal im Harz, auch was konkret den Wurmberg angeht, Klima und Topografie dem Projekt entgegenstehen.

Inwiefern?

Erst mal ist er zu niedrig: Die geplanten Pisten liegen unter 900 Höhenmetern – das ist hoch riskant, denn seit den 1950er-Jahren sinken alle einschlägigen Parameter: die Schneehöhe, die Schneemächtigkeit, die Schneedauer …

Kein Problem, sagen die Betreiber. Deren Gutachten verspricht eine 120-Tage-Saison …

… das ist mehr als unwahrscheinlich: Wer sich die klimatologischen Datenreihen anschaut, erkennt sofort, dass es unmöglich ist, auf 120 Tage zu kommen.

Sogar mit Kunstschnee?

Das ist ja genau der Punkt: Die Schneekanonen werden immer so als Wunderlösung verkauft, als Anpassungsstrategie an den Klimawandel.

Sind sie aber nicht?

Nein. Sie betreiben diesen enormen technischen und finanziellen Aufwand, können eine Saison durch Kunstschnee aber nur um maximal vier Wochen verlängern: Beim Wurmberg kommen Sie damit auf eine Durchschnittssaison von vielleicht 90 Tagen.

Woran liegt das?

Weil die Kunstschneeproduktion von einer Menge Faktoren abhängig ist. Zum Beispiel bräuchten Sie eine geringe Luftfeuchtigkeit, auf jeden Fall unter 50 Prozent. Ideal sind Werte um 30 Prozent. Im Harz liegen sie fast nie unter 60 Prozent.

Das bedeutet?

Sie müssen sich Zeitfenster mit extrem niedrigen Temperaturen suchen, um dort überhaupt produzieren zu können. Nur: Mit dem Klimawandel wird es natürlich immer unwahrscheinlicher, solche Zeitfenster zu finden. Der nächste Faktor sind die hohen Windgeschwindigkeiten: Die sind im Harz ja oft so hoch, dass die Lifte nicht betrieben werden können. Für den Kunstschnee sind sie Gift: Der verweht.

Liegt das an seiner besonderen Struktur? Mikroskopiert erinnert er an Stäube …

Ja, das trifft es ziemlich genau. Tatsächlich erzeugen Schneilanzen eine Art Körner. Eine normale Schneeflocke ist etwa zehnmal so groß wie eines von ihnen. Und es fühlt sich auch ganz anders an: Sie kennen sicher dieses wundervolle Puderschneegefühl, in den USA spricht man auch gerne von Champagne-Powder-Snow. Mit Kunstschnee-Körnern gibt es das nicht. Die sind viel härter, viel dichter und undurchlässiger als echter Schnee. Die werden zerquetscht, zusammengedrückt, gebrochen …

und verweht?

Ja, die werden Hunderte Meter weit in der Atmosphäre transportiert.

Die Frage ist aber doch: Was ist daran so schlimm? Wenn hier viel Geld in ein eher sinnarmes Projekt gesteckt wird, okay, ärgerlich …

Also ich finde es schon haarsträubend, wenn man solche Fehlinvestitionen subventioniert, ohne auf die Unterhaltskosten zu schauen, geschweige denn auf die Folgen für die Umwelt.

Wieso, das Zeug schmilzt doch …?

Schön wär’s, wenn es damit erledigt wäre.

Ist es aber nicht?

Bei Weitem nicht! Die Kunstschneeproduktion hat starke Auswirkungen auf die Böden, die Meteorologie, die Vegetation, die Tierwelt, die Erosion und den Wasserhaushalt – je mehr Schneekanonen, desto gravierender.

Ach, im Harz, das ist doch so ein kleines Gebiet …

Die planen, fast 200 Schneilanzen aufzustellen! Allein am Wurmberg sollen es 120 sein, und dann noch mal 70 am Winterberg, in fünf Kilometer Entfernung! Für nicht mal 20 Kilometer Piste! Das ist eine unerhörte Dichte: Die Mega-Skigebiete in den Alpen, Val de Torrence etwa, die haben für Hunderte Pisten-Kilometer höchstens 500 Schneekanonen – was ja katastrophal genug ist. Nach zehn Jahren Beschneiung haben sie oft schon irreversible Veränderungen in den Gebieten.

Aber warum?

Vereinfacht lässt sich die gesamte Ski-Industrie als eine Wasserindustrie darstellen – die fatalerweise kein Wassermanagement betreibt. Kunstschnee ist nichts anderes als Wasser.

Schnee ist Wasser – klar.

Sagen Sie jetzt. Aber einem normalen Skifahrer ist meist nicht bewusst, welche Unmengen von Wasser er verbraucht.

Wie viel denn?

In einer Saison kommen sie auf 4.700 Kubikmeter Wasser pro beschneitem Hektar. Wenn Sie das mit einem Hektar Mais vergleichen …

Silomais?

■ Am Wurmberg (971 m) will Seilbahnbetreiber Dirk Nüsse 12,5 Kilometer Skipisten beschneien.

■ Kleinstadt Braunlage baut für 1,1 Millionen Euro einen Parkplatz.

■ Niedersachsen schießt zwei Millionen Euro aus dem Fonds für Regionalentwicklung zu (EFRE).

■ Am benachbarten Winterberg (906 m) in Sachsen-Anhalt wird für eine ähnliche Anlage gerodet.

Nein, schon dem wasserbedürftigeren Zuckermais. Der hat einen Verbrauch von hochgerechnet 1.700 Kubikmetern pro Hektar – im Jahr. Ich finde den Vergleich auch deshalb sehr gut, weil es wirklich das Gleiche ist: Die Skipiste wird bewässert.

Aber das Wasser ist doch im Frühjahr wieder da.

Das ist nun wirklich völlig falsch. Zum Einen hat der Prozess einen Wasserverlust von etwa 30 Prozent, zum Anderen ist das Schmelzwasser von Kunstschnee verunreinigt.

Wieso?

Das ist für viele schwer zu verstehen. Die meinen: Ach ja, Kunstschnee ist schön weiß, sauberes Wasser kommt da raus aus den Schneekanonen – aber dem ist nicht so. Und dann kommt das Wasser ja aus einem Rückhaltebecken.

Das soll im Harz auch als Badesee dienen.

Ja, das behaupten die. Aber das ist großer Quatsch. Ich kenne unzählige dieser Reservoire: Das sind meist trapezförmige Becken, in Beton gefasst, in den Alpen bis zu 20, im Harz wahrscheinlich um die zehn Meter tief – und es geht sehr steil hinein. Für Kinder und Nichtschwimmer sind die strikt tabu, eigentlich gehören die eingezäunt, im Winter sind sie es immer: Die müssen ja künstlich offen gehalten werden. Wenn da ein Skifahrer reinsausen würde …! Und dann reden die da im Harz von „einer Wasserwelt“, die für den Sommertourismus genutzt werden könnte – das Ganze ist extrem deprimierend.

Aber wieso schadet das der Wasserqualität?

Wenn Wasser so lange in einem Becken gespeichert wird, kann sich doch so ziemlich alles darin bilden, Keime, Algen, da fallen Tiere rein, die verwesen. Dann kommt es durch Rohre, in denen monatelang Wasserreste gestanden haben, den Sommer über, sodass sich Biofilme bilden. Das ist also der Stoff, aus dem Kunstschnee ist, der dann während der Saison zusätzlich verunreinigt wird. Und das alles kommt dann mit dem Schmelzwasser runter, in die Bachläufe …

im Wasserschutzgebiet …

… ja, und im Laichgebiet eines geschützten Fischs, der Groppe. Die lebt in der Bode.

Im Harz glauben viele an den Erfolg der neuen Skiparadiese.

Aus wissenschaftlicher Sicht verfolgen die Investoren keine nachhaltige Strategie. Sie vernichten ökoproduktive, also wertvolle Gebiete.