Enormes Tempo – enormer Schritt

Das 3:2 des BVB gegen den FC Bayern war ein Spektakel, wie es die Liga lange nicht erlebt hat. Ist Dortmund reif für den großen Coup?

Ganz schön schnell: Marco Reus ist nicht zu halten von Leon Goretzka und Franck Ribéry Foto: dpa

Aus Dortmund Daniel Theweleit

Ein hocherfreutes Strahlen erschien auf dem Gesicht von Manuel Akanji, als er seinen Blick hob und auf einen Bildschirm richtete, von dem die Bundesligatabelle herunterleuchtete. „Das gefällt mir“, sagte der Schweizer Innenverteidiger, der natürlich auch ohne Zahlen aus dem Videotext gewusst hätte, dass der BVB die Tabelle anführt, dass der Vorsprung auf Bayern München nach dem 3:2 (0:1) gegen den Rekordmeister auf 7 Punkte angewachsen ist. Aber an einem solchen Abend, der überwölbt war von einem Gefühl des Irrealen, sind Fakten natürlich hilfreich.

„Wer wird Deutscher Meister, BVB Borussia!“, sangen die Fans draußen und nicht einmal Michael Zorc, der der schwarz-gelben Neigung zum Überschwang traditionell mit Nüchternheit entgegentritt, erklärte die Träumer für irre. „Wir haben den 11. Spieltag, wir sind eine sehr junge Truppe, das war heute ein enormer Schritt für uns“, sagte der Sportdirektor. „Wir müssen weiter wachsen, weiter lernen, das machen wir step by step“, was wohl heißt: Wenn dieser Prozess nicht ins Stocken gerät, kann am Ende wirklich etwas ganz Besonderes gelingen.

Spätestens mit diesem Abend ist klar, dass die Bundesliga sich in einer Saison befindet, in der die Hegemonie des FC Bayern brüchig ist. Das war allerdings nicht der Hauptgrund für die Glücksgefühle, die Lucien Favre durchströmten. Der sonst eher wortkarge Trainer war so redselig wie selten, weil er einfach begeistert war von dieser hinreißenden Fußballshow. „Das war ein verrücktes Spiel, eine Superwerbung für die Bundesliga“, sagte Favre.

Der Gedanke, zu dem tollen Abend beigetragen zu haben, tröstete sogar die Bayern. „Das war der FC Bayern, wie man ihn erwartet, wir haben heute bewiesen, dass wir eine richtig gute Mannschaft haben“, sagte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, und dennoch widersprach niemand, als Zorc den Sieg des BVB als „verdient“ bezeichnete. Dass Bayern München richtig gut spielt und in der Bundesliga dennoch verdient geschlagen wird, ist ein Befund, den es schon sehr lange nicht mehr gab.

Starke Willensleistung

Doch derzeit verfügt Borussia Dortmund über ein paar Qualitäten, die der Mannschaft von Niko Kovač sogar dann fehlen, wenn sie in Form ist. Das Tempo beispielsweise. Marco Reus und Jadon Sancho waren kaum zu kontrollieren für die Defensive um Mats Hummels und Jérôme Boateng. Hinzu kommt eine erstaunliche Mentalität. Zweimal lag das Team zurück und gewann trotzdem. Sebastian Kehl, der Leiter der Lizenzspielerabteilung, sprach von einer „extrem starken Willensleistung“. Der Tabellenführer hat den Willen der Münchner trotz deren guter Leistung gebrochen.

Nach dem Spiel tauchte der Begriff Wachablösung in den Gesprächen auf: „Dieses Wort klingt sehr dauerhaft, aber es kann schon sein, dass es mal einen anderen Meister gibt“, sagte Hummels. Natürlich spürt der Routinier, dass sein Team sich womöglich eher in einem Umbruchjahr befindet als im Leistungszenit. Dass die Dortmunder genau jetzt derart gut funktionieren, tut der Liga gewiss gut, zumal weitere Klubs ebenfalls ganz vorne mitmischen. Als Favre versuchte, das Tabellenbild zu beschreiben, kam er nicht weit. Den ersten Platz seiner Dortmunder hatte er natürlich im Kopf: „Gladbach ist Zweiter“, fuhr er fort, dann wurde er unsicher. „Wer ist Nummer drei?“ Ah, natürlich die Bayern, zumindest bis Sonntagnachmittag. Favre genoss diesen Zustand. Statt des üblichen „Wasser ohne Gas“ wollte er sich zur Feier dieses besonderen Tages „ein Glas Rotwein“ gönnen.

Das hat er sich verdient. Unter seiner Ägide ist ein Klima des Zusammenhalts entstanden, das es lange nicht gab beim BVB, und viele Spieler blühen auf. Marco Reus zum Beispiel, der zwei Treffer erzielte und dann sagte, er fühle sich einfach wohl mit den Menschen, denen er jeden Tag bei der Arbeit begegnet. „Wir funktionieren als Mannschaft sehr gut. Wir lassen uns nicht von negativen Erlebnissen beeinflussen, bleiben stark, das ist ein großes Plus im Gegensatz zu den letzten Jahren.“ Bessere Voraussetzungen für den großen Coup kann es kaum geben.