die woche in berlin
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Deutschlands einzige unabhängige Gefangenenzeitung feiert Jubiläum – „Der Lichtblick“ erscheint in Berlin. Der erste mit Pollern abgesicherte und extrabreite Radweg wird eröffnet. Die Stadt schafft sich einen eigenen S-Bahn-Fuhrpark an. Und es kommt zu Hausdurchsuchungen in Büros und Privaträumen von Greenpeace-UnterstützerInnen

„Lichtblick“: 50 Jahre unzensiert

Gefangenenzeitung feiert Jubiläum

Die Zeitung Der Lichtblick ist 50 Jahre alt geworden. Dass Deutschlands einzige unzensierte Gefangenenzeitung so lange durchgehalten hat, ist wirklich ein Grund zum Feiern: Der Justizsenator und die Staatssekretärin waren da, zwei frühere Anstaltsleiter, Beschäftige vieler Berliner Haftanstalten und natürlich die Gefangenenredakteure selbst; vier sind es zurzeit. Reden voller Wertschätzung wurden gehalten, und am Ende kam es sogar zu einer überraschenden Verabredung. Schade nur, dass die 800 Tegler Insassen von der Veranstaltung, die am Donnerstag im geschlossenen Haus III stattfand, nichts mitbekamen.

Es hätte sie bestimmt interessiert, was für Zustände in Tegel herrschten, als Der Lichtblick am 25. Oktober 1968 zum ersten Mal erschien. Rund 2.000 Gefangene saßen damals in der Anstalt. In Sammelunterkünften schliefen sie zum Teil auf dem Boden, erzählte Klaus Lange-Lehngut, er hatte Tegel von 1979 bis 1997 geleitet. Das Haus III, in dem die Lichtblick-Redaktion saß, war früher das Zuchthaus. Um „Druck aus dem Kessel zu nehmen“, sei die Zeitung zugelassen worden.

376 Mal ist Der Lichtblick seither erschienen. Vier Mal im Jahr kommt er zurzeit in einer bundesweiten Auflage von 7.500 Heften heraus. Die Redaktion vollzieht einen ständigen Spagat: Sie versteht sich als Katalysator für die Interessen der Gefangenen, muss die Kritik an den Zuständen aber sachlich halten, um den Fortbestand nicht zu gefährden. „Widerstehen Sie der Versuchung zu gefallen, in welche Richtung auch immer,“ wünschte Martin Riemer, seit 2013 Leiter von Tegel, den Redakteuren denn auch.

Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) verwies in seiner Rede auf die häufigen Redaktionsbesuche, die er dem Lichtblick in seiner Zeit als Abgeordneter abgestattet hatte. Damit berührte er einen wunden Punkt. Seit er Justizsenator ist, hat Behrendt der Zeitung zu deren großer Enttäuschung – und anders als seine Vorgänger von CDU und SPD – noch kein Interview „face to face“ gewährt.

Als letzter Redner trat ein Vertreter der Redaktion ans Rednerpult. Er wolle sich nicht als ewiger Nörgler wissen, sehe es aber als seine Aufgabe an, auf die zunehmenden Missstände in Tegel hinzuweisen. Als Beispiel nannte er eine Verkürzung der Besuchszeiten und mangelhafte Gesundheitsversorgung. Dann wandte sich der Redakteur direkt an den Justizsenator und lud diesen zum Gespräch in die Redaktion ein: „Hartnäckigkeit ist eine Tugend, die wir gelernt haben.“ – Behrendt sagte unmittelbar danach zu.

Plutonia Plarre

Grün ist die Farbe der Hoffnung

Erste „Protected Bike Lanes“ eingeweiht

Die grünen Farbrollen kommen so langsam auf Betriebstemperatur: Schon auf etlichen Straßenabschnitten wurden bestehende Radfahrstreifen im frischen Farbton der Hoffnung markiert. RadlerInnen, die durch die Proskauer Straße in Friedrichshain oder die Katzbachstraße in Kreuzberg rollen, können sich darüber freuen; auch für die FU-Studierenden wurde auf der Habelschwerdter Allee in Dahlem der grüne Teppich ausgerollt. In diesem Jahr sollen Lahn- und Werbellinstraße in Neukölln dazukommen – und fürs kommende Jahr ist die Einfärbung weiterer 20 Straßenabschnitte geplant.

Das alles sind freilich nur vorläufige, kleine und eher psychologische Verbesserungen, verglichen mit dem Standard einer sogenannten „Protected Bike Lane“, wie sie in der Holzmarktstraße in Mitte am Donnerstag von der Verkehrssenatorin eingeweiht wurde. Der ebenfalls grüne Streifen dort ist mit 3,50 Metern superluxusbreit und zudem mit nicht unbedingt schicken, aber schön biegsamen Pollern vom Autoverkehr abgetrennt.

Was das angeht, sind inzwischen fast alle Rad-AktivistInnen und -PolitikerInnen einer Meinung: Ohne Poller ist das regelwidrige Befahren und Zuparken durch AutofahrerInnen praktisch nicht zu verhindern. Eine Alternative wären Hochbordwege wie in Kopenhagen, aber die sind in der Herstellung viel teurer und auch nicht unumstritten.

Zu meckern gibt es trotzdem einiges: Das Ganze dauert viel, viel, viel zu lange. Der geschützte Radstreifen auf der Hasenheide etwa wurde bis heute nicht angefangen, dabei hätte er eigentlich schon in diesem Frühjahr fertig sein sollen. Auch die Mini-Bepollerung des tödlichen Unfallschwerpunkts an der Kreuzung Kolonnen-/Hauptstraße in Schöneberg nahm unverhältnismäßig viel Zeit in Anspruch. Schuld ist unter anderem die Aufteilung der Arbeit zwischen Senats- und Bezirksebene, was viel Effizienz kostet.

Aber auch die verkehrstechnischen Instrumente, mit denen die PlanerInnen heute so operieren, sind nicht mehr unbedingt auf der Höhe der Zeit: Eine „Radwegweiche“, wie sie am Ende der Holzmarktstraße eingebaut wurde, sieht modern aus, ist aber kein Goldstandard für sicheres Fahren. Und genau darum soll es doch gehen beim Mobilitätsgesetz: Nicht nur Profis und Unerschrockene sollen in Berlin Rad fahren können – sondern wirklich jede und jeder. Claudius Prößer

Mach es doch ein- fach selbst

Land legt sich eigene S-Bahn-Wagen zu

Es wirkt wie auf halbem Weg stehen geblieben oder zu kurz gesprungen. Am Dienstag hat sich der rot-rot-grüne Senat zwar dafür ausgesprochen, für den S-Bahn-Betrieb eigene Waggons anzuschaffen. „Landeseigener Fahrzeug-Pool“ nennt sich das dann. Das ist gut, aber nicht gut genug. Denn die Frage ist: Wenn Rot-Rot-Grün an jeder möglichen Stelle versucht, Versorgungsaufgaben im Land in die eigene Hand zu bekommen – warum dann nicht mit einem landeseigenen Unternehmen auch bei der S-Bahn? Wenn schon ein eigener Fahrzeugpool, warum dann nicht komplett das Sagen haben, statt sich Betreiber suchen zu müssen?

Aktuell ist das Land Berlin in einer misslichen Mittelsituation: Der S-Bahn-Betrieb ist zwar in staatlicher Hand, weil die S-Bahn GmbH der Deutschen Bahn AG gehört. Das Problem ist bloß, dass dieses Staatsunternehmen zwecks Sparkurs zeitweise den S-Bahn-Betrieb verrotten ließ. Der Senat hatte kurzfristig keine Alternative, weil eben nur die Deutsche Bahn beziehungsweise ihre Tochter über jene Waggons verfügen, die auf dem in Deutschland einzigartigen Berliner S-Bahn-Schienennetz unterwegs sind.

Deshalb war die seit Jahren diskutierte Grundidee nicht falsch, selber Waggons zu kaufen und die einem Unternehmen für den S-Bahn-Betrieb an die Hand zu geben. Bei schlechter Leistung könnte man ihm kündigen und eine andere Firma die Züge fahren lassen. Noch naheliegender aber ist es, es selbst zu machen.

Am einfachsten wäre es, der Deutschen Bahn ihre S-Bahn-Tochter abzukaufen, was die aber offenbar abgelehnt hat. Lösung Nummer zwei: ein landeseigenes Unternehmen gründen und den mehreren tausend S-Bahnern ein Übernahmeangebot machen. Ein neues Unternehmen sollte es durchaus sein, weil die BVG klar gemacht hat, dass sie sich weiter auf U-Bahn, Bus, Tram und Fähre konzentrieren will.

Selbst die nötige Lizenz für ein solches neues Eisenbahnunternehmen wäre schon da, berichteten bereits im Januar SPD-Verkehrsexperten bei einer Fraktionsklausur – weil auf dem Gelände der landeseigenen Hafen- und Lagerhausgesellschaft, kurz Behala, eine kleine Betriebsbahn unterwegs sei. Das Ganze hätte auch den Vorteil, dass Besitz, Betrieb, Wartung und Werkstätten in einer Hand sind und nicht ein Dienstleister dem anderen die Schuld zuschieben kann, wenn es Probleme gibt. Hätte – denn bislang sieht es so aus, als würde der Senat hier nur halbe Sachen machen. Stefan Alberti

Denn bislang sieht es so aus, als würde der Senat hier nur halbe Sachen machen

Stefan Alberti über den Plan, einen landeseigenen Pool von S-Bahn-Wagen aufzubauen

Der Wirbel hat auch was Gutes

Durchsuchungen bei Greenpeace

Die Sonne auf dem Asphalt sah von oben toll aus: Um ein Zeichen zu setzen für die Energiewende, hatte Greenpeace im Juni am Großen Stern mehrere tausend Liter gelbe Farbe auf die Straße gekippt, die Autos verteilten sie strahlenförmig in alle Richtungen. Wegen dieser Aktion wurden am Mittwoch bundesweit 29 Durchsuchungsbefehle vollstreckt, teils in Büroräumen, teils in Privatwohnungen. Der Vorwurf: gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr. Laut der Staatsanwaltschaft gab es wegen der Farbe zwei Kfz-Unfälle mit Sachschaden, ein Motorradfahrer und eine Radfahrerin seien zudem gestürzt.

Juristisch mag an den Durchsuchungen, mit denen die Namen weiterer Beteiligter ermittelt werden sollten, nichts auszusetzen sein. Unverhältnismäßig wirken sie trotzdem: Niemand wurde bei der Farbaktion ernsthaft verletzt, der Schaden hielt sich in Grenzen. Warum dann dieser Aufriss?

Greenpeace-Vertreter mutmaßen, es gehe um Einschüchterung. Um gleich hinterherzuschicken, die Umweltorganisation werde sich nicht von ihrem Engagement abhalten lassen.

Die Empörung ist nachvollziehbar. Letzten Endes könnte Greenpeace der ganze Wirbel aber nutzen: Wenn sich die Umweltschützer mit den Behörden anlegen, die eine gemalte Sonne zur bösen Straftat erklären, werden sich viele Menschen mit ihnen solidarisieren. Auch die Spendenbereitschaft dürfte das Ganze erhöhen. Der Konflikt ist hilfreich fürs Image: Die professionelle Organisation kommt so mal wieder ein bisschen Robin-Hood-mäßig daher.

Ein ganz anderer Aspekt der Aktion am Großen Stern hätte Greenpeace wirklich schaden können. Zunächst hatte die Berliner Staatsanwaltschaft auch wegen des Vorwurfs der Gewässerverunreinigung ermittelt, das Gelb lief schließlich über die Kanäle bis in die Spree. Die Beamten schickten eine Farbprobe zur Prüfung ins Labor, sie erwies sich laut Staatsanwaltschaft als unbedenklich. Die Aktivisten dürften aufgeatmet haben, als diese Info kam. „Umweltschützer verschmutzen die Umwelt“: Erst diese Schlagzeile wäre für Greenpeace ein echtes Problem gewesen. Antje Lang-Lendorff