Wie man die Hoffnung nicht verliert

Seit 909 Tagen sitzt der Journalist Nedim Türfent in Haft. In seiner Kolumne schreibt er, warum seine ebenso verhaftete Kollegin Seda Taşkın nicht aufgibt.

Nedim Türfent ist seit zweieinhalb Jahren inhaftiert. In seinem neuen Brief aus dem Gefängnis bittet er um Solidarität für eine KolleginDonata Künßberg Foto: Bild:

Von Nedim
Türfent

Nedim Türfent hat diesen Brief am 12. 10. 2018 verfasst. Am 2. 11 .2018 ging er bei taz.gazete ein.

Etliche Journalist*innen sitzen bekanntermaßen im Gefängnis, ihre oppositionellen Kol­leg*innen draußen sind auf Schritt und Tritt mit Belästigungen, Drohungen und dem Knüppel der Justiz konfrontiert. In diesem Text geht es um die inhaftierten Journalis­t*innen, und um das Thema Identität.

Konkret um Seda Taşkın, eine Reporterin der Mesopotamien-Agentur (MA). Als inhaftierte kurdische Journalistin gehört sie zu jenen, die nicht nur wegen ihres Berufs, sondern auch wegen ihrer Identität und Sprache ins Visier genommen werden. Außerdem gehört sie zu jenen, die in der Journalistenfamilie als Stiefkinder behandelt werden.

Mehrjährige Haftstrafe wegen ihrer Arbeit

Am 22. Januar 2018 war Taşkın verhaftet worden, bei der Verhandlung am 10. Oktober wurde sie wegen „Propaganda für eine Terrororganisation“ zu drei Jahren und vier Monaten und wegen „Unterstützung einer Terrororganisation, ohne Mitglied zu sein“, zu vier Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Sie wird also für insgesamt sieben Jahre und sechs Monate hinter Gittern sitzen. Während ihre Kolleg*innen „auf der dunklen Seite der Landkarte“, also im mehrheitlich kurdisch bevölkerten Teil der Türkei, der Reihe nach inhaftiert wurden, nahm Taşkın alle Risiken in Kauf, als sie von Ankara, wo sie seit zwei Jahren arbeitete, nach Van in den äußersten Osten des Landes umzog.

In der Region, die „von Journalist*innen gesäubert“ werden soll, begab sie sich auf die Jagd nach Nachrichten. Sie berichtete zum Beispiel über die 78-jährige Sise Bingöl, die im Kreis Varto in der Provinz Muş verhaftet wurde, weil ihr vorgeworfen wurde, Mitglied in einer Terrororganisation zu sein.

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Taşkın wurde dann mitten im Stadtzentrum grundlos von der Polizei angehalten und durchsucht. Man ließ sie zwar laufen, doch kurz darauf wurde sie „aufgrund einer ernst zu nehmenden Anzeige“ zur Fahndung ausgeschrieben. Die Mail, die sie denunzierte, stammte von der Polizei selbst. Am 20. Dezember 2017 wurde sie in der ostanatolischen Provinz festgenommen und zur Anti-Terror-Abteilung gebracht, dort wollte man sie unbekleidet durchsuchen. Sie weigerte sich.

Vier Tage lang wurde Taşkın malträtiert

Die männlichen Polizisten drohten ihr: „Wenn du dich nicht ausziehst, legen wir deine Hände in Handschellen auf dem Rücken und ziehen dich mit Gewalt aus.“ Nach vier Tagen in Gewahrsam, nach Schlägen, psychologischer Folter, Isolation, Bedrohung, Beschallung mit rassistischen Märschen wurde Taşkın unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt, ihre Akte bekam den Stempel „geheim“. Doch auf Einspruch des Staatsanwalts wurde sie einen Monat später in Ankara erneut festgenommen, am 22. Januar 2018 wurde sie verhaftet, wegen angeblicher Fluchtgefahr und möglicher Verschleierung von Beweisen.

Ironischerweise war sie erst am Tag ihrer Festnahme bei der Polizei gewesen, um auflagengemäß ihre Anwesenheit zu dokumentieren. Bei der Vernehmung fragten die Polizisten sie: „Warum hast du darüber berichtet?“ Ein Bäcker backt Brot, eine Ärztin behandelt Kranke, aus demselben Grund erstattet eine Journalistin Bericht: Das ist ihr Job.

Die Wahrheit hat aber einen Preis. Am ersten Tag im Gefängnis schrieb Taşkın: „Als hinter mir die Türen abgesperrt wurden, schnürte mir etwas die Kehle zu.“ Sie gewöhnte sich daran. Sie berichtete aber über Rechtsverletzungen, denen sie hinter den Mauern ausgesetzt ist. Bei alldem bleibt sie eine Kreative, die zum Beispiel darüber schreibt, wie die Wachleute ein grünes Pflänzchen ausreißen, das aus dem Beton sprießt. Sie ist so findig, dass sie den Frauen in der Zelle mit dem Nagelknipser die Haare schneidet, weil dort Scheren verboten sind:

„Wenn du ins Gefängnis kommst, siehst du den Abgrund zwischen der Stelle, an der du in einen neuen Tag startest, und der, an dem du einen vergangenen Tag beendest. Gelingt es dir zu verstehen, wo du bist, und der Situation einen Sinn zu geben, kannst du hier viel lernen. Das verwandelt sich dann in den Wunsch, das eingeschränkte Leben, den begrenzten Raum zu verschönern und farbenfroh zu machen.“

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Das Gericht in Muş, das auch Taşkıns Fall verhandelt, hat in den letzten Monaten zehn kurdische Politiker*innen zu insgesamt beinahe 100 Jahren Haft verurteilt. „Sie sind berüchtigt, sie finden fadenscheinige Gründe, nur um die Leute hinter Gittern zu halten“, sagt Taşkın.

Rebellisch am Leben festhalten

„Ich hatte den Tweet eines befreundeten Journalisten geteilt. Er wurde für diesen Tweet freigesprochen, ich dagegen stehe wegen meines Retweets vor Gericht. Das sagt doch alles.“ Taşkıns Akte besteht ausschließlich aus ihren Artikeln und aus ­Gesprächen mit Informant*innen. Solche Vorwürfe kennen wir. Sie hat weder eine Straftat begangen noch etwas Ungewöhnliches getan. Sie hat lediglich ihren Beruf als Journalistin mit allen dazugehörigen Verpflichtungen ausgeübt. Sie hat berichtet. Sie ist weder eine Heldin noch eine Terroristin.

Seda Taşkın ist seit neuneinhalb Monaten in Haft. Wird sie die Hoffnung verlieren? Das kleine Pflänzchen im Hof neben dem Kanalisationsgitter hält rebellisch am Leben fest. „Wie kann man angesichts solcher Schönheit und Lebensfreude unglücklich sein?“, fragt Taşkın. Sie hat es jedenfalls nicht vor. Unterstützen wir sie in der Zeit der Revision, lehnen wir das Urteil ab, und tun unsere Pflicht, indem wir ihr Briefe schicken:

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Seda (Seher) Taşkın

Sincan Kadın Kapalı Cezaevi

6-3 Koğuşu / Ankara

Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe