„Ich habe Sprengstoff geworfen“

KRIEG Victor Greve ist Pastor. Als Militärseelsorger in Afghanistan hat er nicht nur Gottes Wort verkündet

■ Der Mensch: Victor Greve, 43, wurde auf Grönland geboren. In Aarhus und Hamburg studierte er Theologie.

■ Der Pastor: Etwa 400 Familien gehören zur Gemeinde von Victor Greve in Nordfriesland. Er ist Pfarrer der dänischen Volkskirche für die Gläubigen aus der dänischen Minderheit in Friedrichstadt und Bredstedt.

■ Der Einsatz: Rund 600 dänische Soldaten gehören zur Isaf-Mission in Afghanistan. Die meisten sind im besonders umkämpften Süden stationiert. Dort hat Greve als Militärseelsorger gearbeitet.

INTERVIEW DANIEL KUMMETZ

Es ist ganz viel Afghanistan in der großzügigen Wohnung des dänischen Pfarrers und Militärseelsorgers Victor Greve in Friedrichstadt: Ein Abzeichen von einer Nato-Einheit liegt im Fenster, daneben steht ein Glasgefäß voller Sand aus seinem letzten Einsatzgebiet. Greve ist leger gekleidet. Hemd, Jeans, Chucks. Drei Armbänder an seiner rechten Hand erinnern an die Soldaten in Afghanistan –an einem hängt eine Patrone. Sein Pfarrgebiet liegt jetzt in Nordfriesland – bis sein nächster Einsatz kommt.

sonntaz: Mögen Sie Waffen?

Victor Greve: Was ist das denn für eine Frage? Ich habe wie jedes Kind früher Räuber und Gendarm gespielt. Als ich das erste Mal eine Waffe in der Hand hatte, war das ein merkwürdiges Gefühl. Es ist etwas anderes, wenn du im Krieg bist. Aber Waffen faszinieren mich nicht.

Sie waren mit dem dänischen Militär 2010 im Krieg in Afghanistan. Als Sie wieder zu Hause waren, haben Sie sich im Gemeindebrief mit Uniform und Maschinengewehr gezeigt.

Ich wollte provozieren. Viele wollen einen Pastor mit einer Bibel in der Hand und einem Talar sehen. Alles Friede, Freude, Eierkuchen. Aber das, was auf dem Bild zu sehen ist, war mein Leben, so habe ich als Pastor gearbeitet, so ging ich auf Patrouille. Mich hat es gestört, dass viele Leute denken, als Militärseelsorger sitzt man im Camp mit Klimaanlage und redet ein bisschen mit den Soldaten.

Und wie war es wirklich?

Wir befanden uns in der Hölle des Krieges. Ich habe unter den gleichen Bedingungen wie die Soldaten gelebt. Ich bin mit ihnen in einen Außenposten gegangen. Wir waren nur durch Sandsäcke geschützt und lagen auf unseren Feldbetten. Wir wussten, dass die Taliban ganz einfach Handgranaten in unser Camp werfen konnten. Und das taten sie auch. So wahnsinnig war es.

Hatten Sie Angst zu sterben?

Man denkt: Mir wird das nicht passieren und meinem Nebenmann hoffentlich auch nicht. Aber jeder weiß, dass in jedem halben Jahr mindestens einer von den dänischen Soldaten stirbt. Während ich da war, waren es fünf. Und es gibt viele Verletzte. Amputationen sind notwendig, Menschen landen im Rollstuhl. Zu sterben ist nicht schlimm. Dann war es das halt. Dann kommst du schneller zum lieben Gott. Aber in einem Rollstuhl zu landen, davor hatte ich wirklich Angst.

Trotzdem sind Sie der Gefahr nicht aus dem Weg gegangen.

Ich hätte auch zu meinem Kompaniechef sagen können, ich bleibe hier im größeren Lager, in Armadillo, weil es dort nicht so gefährlich ist wie in den kleinen Camps. Aber warum war ich dort? Weil ich da sein muss, wenn etwas passiert. Gegen Ende des Einsatzes mussten die Jungs auf eine Patrouille gehen, durch ein Gebiet voller Sprengfallen. Wir hatten alle Angst. Ich konnte nicht einfach auf der Bank sitzen und alle Jungs rausschicken. Da habe ich eine Wahl getroffen: Ich ging mit raus. Aber niemanden ist etwas passiert.

Ging das immer so gut?

Nein. Bei einem anderen Patrouillengang konnte ich nicht mitkommen. Dann passierte es, dass einer seinen Fuß verlor, der andere sein Bein, und dann starb der Zugführer Jonas, der ein guter Freund für mich geworden war. Sie sind auf eine Sprengmine getreten, nur einen Kilometer vor unserem Camp.

Wie reagiert man dann als Pfarrer auf so eine Situation?

Jonas war nicht sofort tot. Ich war dabei, als er schwer verletzt im Lager ankam. Er war bewusstlos und einer der Jungs hat seinen Körper als Kompresse benutzt, um das Bluten zu stoppen. Doch das half ihm nicht. Ich konnte dann nur den einen Soldaten umarmen und mit ihm drüber reden.

Was haben Sie ihm in diesem Moment gesagt?

Nichts. Manchmal hilft es eigentlich nur, sich gegenseitig zu umarmen. Was soll man auch sagen? Alles wird gut? Nee, wird es ja nicht. Darüber reden kann man erst später.

Waren Sie in gefährlichen Situationen als Nichtsoldat eine Belastung?

Nein. Wir dänischen Pastoren müssen uns selbst verteidigen können, deswegen tragen wir eine Pistole und ein Maschinengewehr. Die Militärseelsorger der Engländer, die Amerikaner und Deutschen tragen keine Waffen, die haben einen Bodyguard.

Hatten Sie damit Probleme, als Pastor bewaffnet zu sein?

Mein einziges Problem war, dass ich Angst davor hatte, dass sich aus meiner Waffe versehentlich ein Schuss löst. Ich habe Schießen trainiert, ein halbes Jahr lang. Ich musste wirklich zu einhundert Prozent wissen, wie die Waffen funktionieren. Unser Einsatz war ja gefährlich.

Es gibt ein Tagebuch von Ihnen über Ihre Zeit in Afghanistan. Darin berichten Sie, wie Sie einen Außenposten mit Handgranate und Maschinengewehr verteidigt und Sprengstoff geworfen haben …

Moment! Rein juristisch war das kein Tagebuch. Ich habe letztes Jahr für einen guten Freund, der ein Architektenbüro in Aarhus hat, einen Weihnachtsgruß erstellt, der ging an 250 Empfänger. Eine Broschüre mit ein paar Eindrücken von dem, was ich als Militärseelsorger erlebt habe. Ich hatte ein paar Aufzeichnungen, aber kein vollständiges Tagebuch. Die haben aber vorgeschlagen, das trotzdem Afghanistan- Tagebuch zu nennen. Ich habe mir etwas poetische Freiheit genommen und dem zugestimmt.

Heißt das, es stimmt nicht alles, was dort steht? Sie haben dramatisiert?

Nein, eigentlich nicht. Irgendwo schreibe ich, wie ich auf Wache stehe und mich wie alle anderen Soldaten mit Handgranaten und Maschinengewehr verteidigen musste.

Diese Passage hat in Dänemark für Ärger gesorgt.

Eine Journalistin hat das entdeckt und behauptet, ich hätte die Genfer Konventionen verletzt, nach der Militärseelsorger im Krieg Nichtkombattanten sind und sich nicht an Feindseligkeiten beteiligen dürfen. Sie hat das berichtet und ich hatte jede Menge Ärger, bis in diesen Sommer hinein. Die Presse und das Fernsehen haben berichtet, mein Militärbischof wollte Stellungnahmen von mir und die Militärstaatsanwaltschaft hat Vorermittlungen aufgenommen – Politiker haben mich vorverurteilt. Die höchste Strafe wäre lebenslänglich Gefängnis gewesen. Die Ermittlungen wurden gerade eingestellt, weil sie mir nicht nachweisen konnten, dass ich bewusst an Kampfhandlungen teilgenommen habe.

Haben Sie denn das Lager verteidigt und den Sprengstoff geworfen?

Ich kann mich zu den konkreten Vorwürfen nicht äußern. Sonst riskiere ich, dass es wieder losgeht mit den Problemen. Was ich sagen kann, ist: Ja, ich habe ein Kilo Sprengstoff geworfen. Und: Ich habe meine Pflicht als Militärseelsorger erfüllt.

Was war Ihre Pflicht?

Meine Pflicht war es, da zu sein und zu agieren, wenn es nötig ist. Und das heißt zu helfen, auch wenn ich dafür ins Gefängnis gehen müsste. Zum Beispiel könnte man sich vorstellen – ich sage nicht, dass das der Fall war –, dass wir einem Angriff ausgesetzt waren und ich mich und die Jungs mit aller Macht verteidigt habe.

Wollten Sie ein Kamerad der Soldaten sein?

Ich darf mich nicht verstellen. Das ist wichtig als Pastor und eben auch als Militärseelsorger. So kann man sehr viel Vertrauen gewinnen. Aber das passte bei mir: Ich habe mein ganzes Leben Fußball gespielt. Ich liebe den Umgang miteinander in der Kabine, wo man sich mit Handtüchern schlägt. Dieser harte, aber herzliche Umgang. Wenn man das liebt, dann ist es perfekt, um auch mit Soldaten umgehen zu können.

Über was reden die Soldaten im Krieg?

Über alles. Es geht um die Patrouillen. Manche haben Angst davor, fürchten, dass sie sterben werden. Andere weinen, wenn der Schrecken des Krieges sie überwältigt.

Muss man als Pastor im Krieg hart sein?

Manchmal schon. Die Soldaten kamen ja auch zu mir und sagten: Oh, ich habe Angst. Ja, und? Wir haben doch alle Angst hier. Tu deinen Job, habe ich dann gesagt. Warum bist du eigentlich hier? Du hast doch deine Pflicht! Du hast eine Verantwortung. Auch gegenüber den anderen. Wir sind eine Bruderschaft. Wir müssen einander helfen.

Sie richten die Soldaten wieder auf. Machen sie wieder kampffähig.

Das kann man interpretieren, wie man will. Ich sage: Wenn ein Mensch zu mir kommt – auch ein Soldat – und er hat was Schlimmes erlebt, dann werde ich mit ihm darüber reden. Ich bin da, um den Menschen zu helfen und das Wort Gottes zu verkündigen.

Ist Schuld ein Thema unter den Soldaten?

Ja, das spielt eine große Rolle. Das wurde innerhalb der sechs Monate von Tag zu Tag wichtiger. Es war nicht unbedingt das größte Problem, dass sie einen einzelnen anderen Menschen getötet haben. Sondern, ob das Ganze einen Sinn ergibt. Denn es kommt ja noch ein Toter und noch einer. Das ist schrecklich. Krieg führt das Schlimmste mit sich und das Schönste.

Das Schönste?

Im Krieg entsteht eine Bruderschaft, die für immer da sein wird. Und man kämpft für die Wahrheit und die Freiheit.

Glauben Sie, dass das in Afghanistan passiert?

Natürlich hat der Einsatz am Anfang geholfen. Aber wie bei jedem Krieg hat er etwas Schlechtes mitgebracht. Dass unschuldige zivile Afghanen sterben und Soldaten. Aber Mädchen haben die Möglichkeit, zur Schule zu gehen und zu studieren. Das hatten sie früher nicht. Wir sind da als Reaktion auf den 11. September, gegen al-Qaida und die Taliban. Und da haben wir etwas bewegt. Danach hätten wir uns rausziehen können. Ja. Aber die Afghanen haben um unsere Hilfe gebeten. Dann sind wir dageblieben.

Das klingt so, als wenn Sie davon überzeugt wären, dass das ein sinnvoller Krieg ist.

Man kann natürlich fragen: Gibt es einen sinnvollen Krieg? Aber man kann auch die Frage stellen: Welche Nation muss immer gegen das Böse und für die Freiheit kämpfen? Wenn wir über den Zweiten Weltkrieg reden – was wäre, wenn nicht die Engländer oder Amerikaner uns Dänen geholfen hätten? Es war doch auch wichtig, dass wir in Exjugoslawien reingegangen sind. Oder denken Sie daran, was jetzt in Syrien passiert. Warum passiert nichts? Warum gucken wir nur zu?

Christliche Pazifisten sagen: Man sollte sich gar nicht erst am Krieg beteiligen und mit gutem Beispiel vorangehen.

Woher kam der Frieden nach dem Zweiten Weltkrieg? Durch Krieg. Manchmal muss man für die Freiheit kämpfen. Die Soldaten tun das, wofür sie ausgebildet sind. Ich als Pastor benutzte das Wort – das ist mein Schwert.

Ist das für Sie auch ein theologisches Argument?

Jesus hat für die Liebe und unsere Freiheit als Menschen sein Leben gegeben. Wie wir Menschen das umsetzten, das ist unser freier Wille. Wenn es keinen anderen Weg gibt, muss man auch mit Händen und Füßen dafür kämpfen, dass die Wahrheit siegt und das Böse verliert. Auch Christus hat dies getan, als er in den Tempeln die Stühle und die Tische weggerissen hat. Das war doch nicht nur das Wort.

Damit könnte man auch einen heiligen Krieg rechtfertigen.

Nein. Ich finde, man darf niemals für eine Religion Krieg führen. Man darf nie mit Gewalt missionieren. Da muss man das Wort benutzen. Dabei muss es bleiben.

Werden Soldaten im Krieg gläubig?

Mir ging es nicht darum, die Leute zu bekehren. Das war nicht der Sinn der Sache. Aber bei einer Übung vor dem Einsatz und in Afghanistan selbst wollten zwei Soldaten getauft werden. Das habe ich natürlich gemacht. Greve zeigt ein Bild von der Taufe: Das Taufbecken ist ein Helm, es ist gestützt auf Maschinengewehre.

Aber das dürfen wir nicht mehr –die Bischöfe sehen darin eine Vermischung von Militärischem und Christentum. Das verstehe ich nicht. So eine Taufe finde ich schön. Es gab kein Taufbecken. Für mich ergab es einen Sinn, einen Helm als Ersatz zu nehmen, weil die Taufe ja ein Schutz ist. Sie schützt dich vor allen bösen Sachen. Der Helm ist auch lebenswichtig für dich, wenn du rausgehst. Aber das provoziert natürlich. Aber nur, wenn du in einem anderen Kontext lebst.

Auf Ihrem Armband steht: Glaube an Gott und halte die Patronen trocken. Was ist das für ein Spruch?

Der ist alt, kommt von Oliver Cromwell. Ich habe ihn in Afghanistan oft gesagt. Immer bevor die Soldaten rausgingen, habe ich eine Minipredigt gehalten. Die Soldaten knieten nieder und bekamen den Segen. Dann standen sie auf und ich sagte diesen Spruch. Es gab deshalb auch Ärger mit dem Bischof. Wir sollen das nicht sagen, schon gar nicht nach dem Segen. Das mache das Christentum zu militärisch.

Das stört Sie nicht?

Ich finde den Spruch cool und richtig. Warum sollen die Soldaten, wenn sie hinaus in den Krieg gehen, ihn nicht zuletzt hören? Sie sollen an Gott glauben und bereit sein, das zu tun, was sie tun müssen.

Auf YouTube gibt es ein Video von einem Ihrer Kollegen. Der segnet die bewaffneten Soldaten und macht danach ein Victory-Zeichen. Haben Sie das auch gemacht?

Ja. Am Anfang in Armadillo hatten wir Sperren, die waren ein Meter hoch und mit Steinen gefüllt. Ich habe die Soldaten gesegnet und bin auf diese Sperren geklettert und habe sie von dort oben mit dem Victory-Zeichen gegrüßt. Es gab einige Leute, Politiker und Pastoren, die Probleme damit haben, weil sie meinen, ich würde die Soldaten aufgeilen. Ich will sie nicht aufgeilen, um zu töten. Ich ermutige sie, heil wiederzukommen und lange zu leben.

Victory meint doch militärischer Sieg. Das ist doch mehr als heil wiederzukommen?

Sie müssen ja auch rausgehen und siegen. Die müssen das Böse bekämpfen und gewinnen.

Daniel Kummetz, 26, taz-Volontär, hat seine Kriegsdienstverweigerung religiös begründet