Ein distanzierter Draufblick

In der Uraufführung „Treffpunkt 70“ des Düsseldorfer „Forum Freies Theater“ geht es um die Stasi, Erinnerung und Biographie. Hinter der multimedialen Performance stehen Künstler aus Ost und West

AUS DÜSSELDORF ISABEL FANNRICH

Mit einem politischen und zugleich persönlichen Stück eröffnet das Düsseldorfer „Forum Freies Theater“ am 1. September seine neue Spielzeit. Die Düsseldorfer Choreographin Katja F. M. Wolf hat in „Treffpunkt 70 – eine Bewegungsmeldung“ die Ausspionierung ihrer Familie durch die DDR-Staatssicherheit multimedial verarbeitet. Mit Tanz und Theater, mit Video- und Sound-Elementen verbindet sie Fragmente der Stasi-Akten aus den 70er Jahren mit den Notizen ihrer Mutter und einem im vergangenen Jahr selbst verfassten Projekttagebuch. Dabei geht es der 35-jährigen Künstlerin nicht um eine Nachbildung von DDR-Realität, sondern um den künstlerischen Umgang mit Erinnerung und Biographie. Eine Puppe soll dabei dem Zuschauer als „Gefäß für Phantasie“ dienen.

1970 wurde Katja F. M. Wolf in Leipzig geboren, im selben Jahr begann die Stasi mit der Überwachung der Familie, die 1979 schließlich nach München ausreiste. „Meine Biographie ist sehr geprägt vom Weggang aus der DDR“, erzählt die Künstlerin. „Zwar war ich als Schulkind nicht permanent die Ossi, aber ich hatte eine andere Erfahrung als meine Mitschüler.“ Die Aktenlektüre habe “ein zwiespältiges Gefühl zwischen Grusel und Erheiterung“ in ihr ausgelöst, sagt Wolf. Einerseits das Befremden, beobachtet worden zu sein, andererseits das Schmunzeln über die „hölzerne Sprache“, in der die Stasi-Mitarbeiter „banale Alltäglichkeiten“ festhielten.

„Sonst funktioniert Erinnerung über Familiengeschichten und Fotos“, vergleicht Wolf. „Eine begrenzte Anzahl von Anekdoten wird immer wieder reproduziert und damit zur Erinnerung.“ Die Lektüre der Stasi-Akten aber habe ihr Bild von der eigenen Kindheit umstülpt: „Weil die eigene Erinnerung von fremden Texten überlagert wird, berührt das die eigene Identität.“

Wolf, die im Jahr 2000 den Förderpreis Darstellende Kunst der Stadt Düsseldorf und später ein Stipendium der Kunststiftung NRW erhielt, hat sich in der Koproduktion mit dem LOFFT Leipzig und dem Ringlokschuppen Mülheim an der Ruhr erstmals dem Thema DDR gewidmet. Um kein „Ossi-Projekt“ zu machen, holte sie sich „als Korrektiv und Spiegel“ neben ostdeutschen auch westdeutsche Künstler ins Team. Neben der Ostberliner Puppenspielerin Evelyn Arndt etwa den Essener Schauspieler Fabian Sattler oder die Hamburger Co-Regisseurin Maren Wegner. Zusätzliche Distanz zu ihren eigenen Erfahrungen mit der DDR schaffe aber auch, dass sie als Kind „nicht direkt“ von der Stasi-Beobachtung betroffen gewesen sei. „Außerdem liegt die Chance des Projekts im Gegensatz zu dramatischen Fluchtgeschichten darin, dass meine Familiengeschichte relativ undramatisch verlaufen ist.“

Das ermöglicht Wolf, einen „einfühlsamen“ Blick auch auf die Biographien der Gegenseite zu werfen: „Was ist in den Psychen los? Welche Brüche gab es in Biographien, durch den Mauerfall als Stasi-Mitarbeiter ‚erlöst‘ zu werden oder aber eine ‚Lebensaufgabe‘ entrissen zu bekommen?“ Begriffe wie Täter, Opfer oder „Vergangenheit aufarbeiten“ zählen jedenfalls nicht zu Wolfs Vokabular: „Wir haben versucht, uns von moralischen Urteilen fern zu halten. Vielmehr wollen wir einen Dialog zwischen Ost und West eröffnen.“