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Ausgehen und rumstehen von Andreas HartmannBrasilianischer Antifaschismus auf die harte Tour

Nein, es war kein Plan, es ist einfach passiert: Plötzlich sind wir dort unterwegs, wo wir eigentlich nie wieder ausgehen wollten, im eigenen Kiez. Ein guter Freund von mir wohnt in der Simon-Dach-Straße und ich wunder mich immer, wie er es hier eigentlich aushält zwischen all den Brunch-Läden und inmitten der permanenten Junggesellenabschiedsatmosphäre. Und jetzt bin ich selber hier.

Losgegangen ist es damit, dass wir das neue Restaurantkonzept eines guten Bekannten testen wollten. Veganes Thai-Streetfood direkt am Boxhagener Platz hat er sich ausgedacht. Dazu hat er sich extra hässliches Mobiliar direkt aus Thailand besorgt, um dem Konzept die nötige Note Authentizität zu verleihen. Ein wenig über das Ziel hinausgeschossen ist er dabei vielleicht damit, in seiner Lokalität einen Zebrastreifen und eine Ampel anbringen zu lassen. Damit auch wirklich jeder verstehen möge, dass hier Street mit Food in Verbindung gebracht wird.

Danach also eine Runde durch den Kiez. Kennzeichnend für die Gegend rund um den Boxhagener Platz und die Simon-Dach-Straße ist Kontinuität und permanente Erneuerung gleichzeitig. Die Astro-Bar gibt es tatsächlich immer noch, und auch Paules Metal Eck scheint unverdrängbar zu sein. Schaut man mal wieder rein in diese Läden, ist hier alles wie einst.

Immer noch der gleiche Retro-Future-Look in der Astro Bar wie vor sage und schreibe 20 Jahren, und auch beim Paule hört man jetzt nicht etwa hippen Indierock und trinkt Craft Beer, sondern natürlich gibt es Metal und Bier vom Fass.

Überall sonst in der Gegend macht gefühlt täglich irgendeine neue Gastronomie, Kneipe oder Shisha Bar auf. Man blickt wirklich kaum noch durch und allein deswegen fühlt es sich so beruhigend und entschleunigend an, mal wieder an Orten zu sein, in denen die Zeit für immer stehen zu bleiben scheint.

Am schönsten aber beim Ausgehen im eigenen Kiez ist, dass man wieder so schnell zu Hause ist. So landen wir spät am Abend noch bei uns im Haus im zweiten Stock. Einer aus unserer Runde kommt aus Brasilien und soll jetzt erklären, was da eigentlich los ist in seiner Heimat. Na ja, es sei eben wirklich schrecklich alles. Sein Vater habe Bolsanero gewählt, weswegen er den Kontakt mit ihm abgebrochen habe. Antifaschismus auf die harte Tour, sozusagen. Freunde von ihm würden überlegen, nach Uruguay auszuwandern, anscheinend das letzte Land in Südamerika, aus dem es noch wirklich Positives zu berichten gibt.

Und dann diskutieren wir noch, was bei uns eigentlich im ersten Stock los ist, wo ein Peruaner und ein Syrer Tür an Tür wohnen. Die beiden streiten sich angeblich dauernd, und nun habe wahrscheinlich der Syrer irgendeine rötliche Flüssigkeit auf die Tür des Peruaners ausgekippt. Statt diese zu entfernen, wurde der Fleck mit Klopapier überklebt. Die Tür sieht jetzt aus wie ein missratenes Kunstobjekt. Und wir fragen uns, wie wohl die Antwort des Peruaners auf den Anschlag aussehen wird. Am meisten los in Friedrichshain ist dann halt doch immer noch daheim.

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