Friedhofs-Idyll

Das Öko-Dorf an der Lesum wird zehn Jahre alt. Aus den Besetzern am Weidedamm sind arrivierte Pächter geworden, die ihre Ruhe haben wollen

Bremen taz ■ Zehn Jahre. Daran hat selbst im Öko-Dorf niemand geglaubt. Auch Klaus Möhle nicht, Vorsitzender des Vereins „Grüner Weidedamm“. Der Name stammt noch aus dem Jahre 1995, als die SiedlerInnen des Findorffer Parzellengebiets, das Hochhäusern weichen musste, vertrieben wurden. Es fand sich eine Fläche bei Burg an der Lesum als neue Heimat. „Totgesagte leben länger“, triumphiert Möhle – und das wird heute mit einem Sommerfest gefeiert.

Friedhofserwartungsland. So bezeichnen JuristInnen das zwei Hektar große Gelände in Bremen-Burg. Doch Tote wurden hier nie begraben. Trotzdem ist heute Ruhe in dem einst umstrittenen Wohnprojekt eingekehrt. Aus den 36 SiedlerInnen sind ebenso friedliche wie arrivierte PächterInnen geworden. Vor fünf Jahren haben sie für sich ein Dauer-Pachtverhältnis ausgehandelt, Kostenpunkt: jährlich 150.000 Mark. Jedes Jahr wird der Vertrag um weitere zwölf Monate verlängert – wenn keine „zwingenden Gründe“ dagegen sprechen, eine einstmals angedachte Wohnbebauung etwa. Doch Möhle macht sich keine Sorgen um seine Lehmhütte: „Die kriegen uns nicht wieder weg.“ Denn wer hier wohnt, muss sich das gut überlegen: Zum nächsten Supermarkt läuft man eine halbe Stunde.

Gut überlegt haben sich das auch Oliver, Kathrin, Hannah und André. Zusammen bauen die vier gerade an einem Rundhaus, so groß wie ein Zirkuszelt – aber nicht aus Holz: Die ganze Hütte ruht allein auf Strohballen, die später noch mit Lehm verschmiert werden. Ob’s hält? Möhle guckt skeptisch, während er vom experimentellen Bauen schwärmt: „Notfalls kann man ja noch Holzbalken einziehen.“

Ansonsten regieren ausrangierte Bauwagen die Szene. Doch der Trend geht zur Sesshaftigkeit, an vielen Wagen wird rege angebaut, auch auf Satellitenfernsehen wollen viele nicht verzichten. Und kaum einer träumt hier noch den alten Nomanden-Traum vom Leben auf verschiedenen Wagenplätzen. Man hat sich eingerichtet, als Tischler, Landschaftsgärtner, Heilpraktikerin oder Psychologe. Ein paar Studierende sind ebenso darunter – doch ums billige Wohnen geht es hier nicht, auch nicht in Zeiten von Hartz IV. Wohnen aus Armutsgründen ist hier nicht erwünscht. Und wer neu hinzukommt, muss erst einmal probewohnen – vorausgesetzt, man bringt das richtige Geschlecht mit: Das Öko-Dorf wird streng quotiert bewohnt. Und wer einziehen darf, darüber entscheidet allein der Konsens im Plenum.

Vor fünf Jahren allerdings hatten die Öko-Dörfler schon einmal den Räumungsbescheid auf dem Tisch. Der damalige Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU) wollte das Öko-Dorf „nicht als dauerhafte Wohnform“ akzeptieren, auch wenn keine einträglichere Lösung des Geländes in Sicht war. Am Ende lenkte er ein, begrenzte aber die Zahl der Dörfler auf 40. Der alte Standort am Bürgerpark zählte noch 150 BesetzerInnen, Hippies und Freaks, aber auch Junkies. An die letzten beiden Jahre vor dem Umzug an die Lesum erinnert sich auch Möhle nur mit Schrecken, erzählt von Gewalttaten: „Das Ganze ist implodiert“.

Entsprechend groß waren auch die Befürchtungen der neuen NachbarInnen im Werderland. Doch ihren Widerstand haben sie schon vor Jahren aufgegeben, auch mit dem Golfplatz nebenan hat man sich arrangiert. Man spricht wieder miteinander – „das hat es früher nie gegeben“, erzählt Möhle. Überhaupt will er jetzt nur noch „in Ruhe gelassen“ werden. Dann kann er hier auch begraben werden, im Friedhofserwartungsland. Jan Zier

Sommerfest in der Lesumbroker Landstraße 62 beginnt heute (Sa.) um 16 Uhr mit Kinderprogramm, ab 18 Uhr spielt Livemusik. Wer will, darf nach der Party dort zelten.