das portrait
: Europaparlament zeichnet Oleg Senzow mit dem Sacharow-Preis aus

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Ob Oleg Senzow schon von der Verleihung des Sacharow-Preises des Europaparlaments an ihn erfahren hat? Der ukrainische Filmregisseur befindet sich in der Nähe des Polarkreises im autonomen Gebiet der Jamal-Nenzen. Dort wird nach Gas gebohrt, die Einheimischen leben von Rentierzucht. Die Strafkolonie Labytnangi, in der Senzow weggeschlossen wurde, liegt sogar noch nördlich des Polarkreises. Hier kommt keiner mal so vorbei, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen.

Bewusst wurde der 42-Jährige in diese unwirtliche Gegend verbannt, in der Minusgrade von um die 40 Grad normal sind. Im ukrainischen Simferopol betrieb er einen Computerclub, 2011 kam sein erster Film heraus, „Gamer“, danach folgte „Nashorn“. 2014 wurde Senzow auf der Krim wegen Terrorverdachts vom russischen Geheimdienst (FSB) festgenommen. Zusammen mit drei ukrainischen Aktivisten, die Russlands Einverleibung der Krim genauso wenig hinnehmen wollten wie der Filmemacher. Die Annexion wurde von Moskau mit der angeblichen Machtübernahme ukrainischer Faschisten in Kiew begründet. Senzow und seinen Mitangeklagten wurden der Zugehörigkeit zur nationalistischen ukrainischen Bewegung „Rechter Sektor“ bezichtigt.

„Wir haben überlegt, was wir nach der Besetzung machen können“, gab Senzow zu Protokoll. Und: „Ich habe nie zu Aktionen aufgerufen, die Opfer verursacht hätten.“ Weder habe er eine Terrororganisation gegründet noch eine Verbindung zu Rechtsradikalen gesucht. Gleichwohl wird ihm zur Last gelegt, gegen ein Büro der Kreml-Partei „Einiges Russland“ und eine Einrichtung der „Russischen Gemeinschaft der Krim“ einen Anschlag verübt zu haben. Zudem soll er geplant haben, das Lenin-Denkmal und eine nahegelegene Weltkriegsgedenkstätte auf der Krim in die Luft zu sprengen.

Diese Vorwürfe wurden von der russischen Strafverfolgung nie stichhaltig bewiesen. Dennoch verurteilte ein Gericht Senzow im Mai 2015 in Rostow am Don zu 20 Jahren Haft. Drakonisch – maßlos. 2016 wurde er dann in die Strafkolonie IK-8 „Weißer Bär“ bei Labytnangi verlegt. Im Mai dieses Jahres trat er dort in einen unbefristeten Hungerstreik und fordert seither die Freilassung von insgesamt 64 Ukra­inern, die, seiner Einschätzung nach, ebenfalls aus politischen Gründen inhaftiert sind.

Offensichtlich baute Senzow auf die internationale Öffentlichkeit bei der Fußball-WM in Russland. Doch das Sportereignis führte zu keiner Erleichterung, eher schien es, als verlören die Brutalität und die Rechtlosigkeit des Verfahrens vor lauter fröhlichen Fans an Dramatik. Der Kreml sah jedenfalls keinen Anlass, dem Filmemacher entgegenzukommen. Internationale Mahnungen verhallten, vereinzelt.

Nach mehr als 140 Tagen Hungerstreik brach Senzow Anfang Oktober den Protest ab. Zuletzt drohte ihm Zwangsernährung. Seine Gesundheit dürfte er in seinem politischen Kampf ohnehin verspielt haben. Hoffentlich erreicht ihn die Nachricht aus Straßburg noch rechtzeitig.

Klaus-Helge Donath

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