Eine schwere Geburt

AUS ERBIL INGA ROGG

Es gehört zu den vielen Sonderbarkeiten, die der Irakkrieg bislang hervorgebracht hat. Ausgerechnet auf die von Saddam geknechteten Schiiten hat US-Präsident Bush Druck ausgeübt, um im Verfassungsstreit die ehemalige sunnitische Herrschaftselite ins Boot zu holen. Am Widerstand der Sunniten drohte jüngst der gesamte Verfassungsprozess zu scheitern.

Nach einem Telefonat mit Bush ist der einflussreiche schiitische Politiker Abdul Asis Hakim von seiner Forderung nach der Gründung eines schiitischen Teilstaats abgerückt. Mit diesem Ansinnen hatte er vor zwei Wochen heftige Proteste der Sunniten ausgelöst. Auch beim Verbot der ehemaligen Baath-Partei sind die Schiiten von ihrer harten Haltung abgerückt. Die Schiiten hätten im Streit um den Föderalismus und die Entbaathifizierung einen Kompromissvorschlag eingebracht, sagte der Hakim-Vertraute Abbas al-Bayati.

Laut al-Bayati sieht dieser vor, dass beide Streitpunkte dem künftigen Parlament zur gesetzlichen Regelung überlassen werden. Weitere Konzessionen seien von den Schiiten aber nicht zu erwarten, sagte Bayati. „Mehr können wir nicht anbieten.“ Damit scheint das Rennen um den Verfassungsentwurf wieder offen. Noch am Donnerstagmittag hatten Schiiten und Kurden gedroht, ihren gemeinsamen Entwurf im Alleingang zu verabschieden. Da die Sunniten im Parlament nur mit einer Hand voll Abgeordneten vertreten sind, steht ihnen dieser Weg weiterhin offen. Allerdings riskieren sie damit eine weitere Stärkung der sunnitisch-arabischen Guerilla.

In den vergangenen Tagen haben sunnitische Vertreter bereits damit begonnen, ihre Anhänger im Zentral- und Westirak gegen die Verfassung zu mobilisieren. Im nordöstlich von Bagdad gelegenen Bakuba gingen gestern mehrere tausend Demonstranten gegen die „Spaltung des Irak“ auf die Straße. Etliche trugen dabei Bilder Saddam Husseins mit sich.

In den Verhandlungsführern der Sunniten sehen die Schiiten und Kurden nicht mehr als eine Bande ehemaliger Baathisten, die mit ihrer harten Haltung versuchen, den politischen Prozess zu torpedieren. Da es der schiitisch-kurdischen Koalitionsregierung und ihren amerikanischen Verbündeten aber nicht gelungen ist, die Gewalt der sunnitischen Untergrundkämpfer einzudämmen, befinden sie sich in einem Dilemma.

Ein amerikanischer Militärsprecher warnte vor einer Zunahme der Gewalt, sollten die Sunniten in den Verfassungsverhandlungen ausgegrenzt werden. Zweifelsohne liefern Schiiten und Kurden die gemäßigten Sunniten, die mit ihrer Gesprächsbereitschaft heute schon ein großes Risiko eingehen, nur noch mehr den Radikalen aus. Gelingt es ihnen nicht, zumindest Parteien wie die konservative Islamische Partei sowie moderate Geistliche und Stammeschefs für die Verfassung zu gewinnen, droht ihnen darüber hinaus im für den 15. Oktober geplanten Verfassungsreferendum ein Debakel. Die Extremisten hätten in diesem Fall leichtes Spiel, in den Provinzen mit sunnitischer Mehrheit ein Nein-Votum zu erzwingen.

Die schiitischen und kurdischen Verhandlungsführer stehen auch gegenüber ihren eigenen Wählern im Wort. Kurdische Politiker haben den Föderalismus wiederholt als rote Linie bezeichnet. Sie werden von der jetzigen Vereinbarung nur gegen Garantien für ihren Teilstaat Kurdistan eintauschen. Insofern ist der Ausgang der Verhandlungen, die gestern Nachmittag fortgesetzt wurden, wieder offen.

Rein theoretisch können die Gespräche bis kurz vor dem Referendum fortgesetzt werden. Mit der Vorlage des Entwurfs Montagnacht wurde die Bestimmung der Interimsverfassung erfüllt; eine Abstimmung durch das Parlament ist darin nicht vorgesehen. Rechtlich bewegen sich die Verfassungsautoren damit freilich auf unsicherem Boden.