BEI RADIOHEAD
: Doch nicht relaxt

Der Bengel kreischt wie eine Sirene

Schon Tage zuvor heißt es im Radio, man solle sich bloß warm anziehen für Radiohead in der Wuhlheide, die Temperaturen werden einstellig. Die Erinnerung an ein Fußballspiel, bei dem man fast erfroren wäre, verleiht dieser Warnung Nachdruck. Zu viel Gepäck ist allerdings auch doof. Also steht man zu lange vor dem Schrank, feilt am Zwiebelprinzip und trifft erst ein, als Radiohead ihren ersten Song „Lotus Flower“ spielen.

Im dazugehörigen Video tanzt Thom Yorke wie ein Zitteraal. Überall dort, wo das Publikum nicht pickepackedicht stehen, stellen Menschen diesen Tanz nach. Nicht nur während dieses, auch während der folgenden Songs. Egal, wie sie rhythmisch gebaut sind. Auch eine Methode, mit den Temperaturen umzugehen. Daran hatte man eher denken können.

Eine besonders hingebungsvolle Tänzerin hat einen kleinen Jungen dabei. Der versucht, sich bei Laune zu halten, indem er, sich an dem einen oder anderen dort rumstehenden Bein abstoßend, über die Stufen des Amphitheaters wetzt. Ab und zu verschwindet er im Pulk des Innenraums. Relaxte Mutter, denkt man. Bei ruhigeren Passagen kreischt der Bengel wie eine Sirene. Langsam reagieren Umstehende genervt. Einer ruft. „Hat jemand Ritalin?“ Die Mutter reagiert nicht. Als sich ein Mann zu dem Jungen beugt, ihm eine Hand auf die Schulter legt und sagt: „Hör doch mal auf damit“, reagiert sie umso hysterischer. „This is my son! Don’t touch him!“ Also doch nicht relaxt. Jetzt sitzt sie auf der Stufe und umklammert ihren Sohn. Als der sich aus dem Schwitzkasten winden will, warnt sie ihn: „Don’t go near these people. They don’t want you.“

Das geht so lange, bis Radiohead „Paranoid Android“ spielen. Sie reißt die Arme hoch und fällt zurück in den Tanzmodus. Der Junge rennt wieder die Treppen hoch und runter. Diesmal gucken alle stur über ihn hinweg.

STEPHANIE GRIMM