Vielfalt der Kulturlandschaft

Eine kommunale Ausstellung dokumentiert das Leben der Migranten und zeigt konkrete Fälle gelungener Integration. „Probleme“ hat die Stadt Gelsenkirchen mit Russlanddeutschen kaum

AUS GELSENKIRCHENSEBASTIAN KORINTH

Sie fuhren als Hoffnungsträger und kehrten als Migranten zurück. Die relativ kleinen Gruppen von Deutschen – die höchste offizielle Anzahl gab es 1989 mit rund zwei Millionen Menschen – die im Laufe von 200 Jahren nach und nach in Russland ihre neue Heimat fanden, haben sich nie als eine einheitliche Volksgruppe gesehen. Erst nach der Rückkehr nach Deutschland ist die Mehrheit von ihnen unter der Bezeichnung Aussiedler oder Spätaussiedler aus der ehemaliger Sowjetunion bekannt geworden. In Gelsenkirchen wird zurzeit die Geschichte Russlanddeutscher seit der Herrschaft Katharinas II. (1762-1796) in einer Ausstellung aufgearbeitet. Fotos und Texte der Zusatzausstellung „Von Kasachstan nach Gelsenkirchen“ zeigen den Besuchern auch lokale Beispiele einer gelungenen Integration.

Richtig Leben eingehaucht wird der Ausstellung „Russlanddeutsche – einst und jetzt“ erst durch das umfangreiche Rahmenprogramm. Der Chor der Gelsenkirchener Landsmannschaft – also des Vertriebenenverbands – singt heute Abend zur Eröffnung, ebenso die Solistin Katja Mironov. Die Rockband „Enzefalit“, drei junge Russlanddeutsche aus Gelsenkirchen, spielt ihre eigenen – russischen – Songs. Mitte September kommen dann die in Russland geborenen Vize-Weltmeister des HipHop-Showdance und die Pop- und Rockband „Trilogie“, bestehend aus im Ruhrgebiet wohnenden Russlanddeutschen.

Lilia Tetslau wirft während der Ausstellung einen satirischen Blick auf das deutsche „Labyrinth der Integration“. „Deutsch, ...aber nicht ganz“ heißt ihr Kabarettprogramm, in dem sie Einheimische und Aussiedler gleichermaßen auf‘s Korn nimmt. Die „einzige Spätaussiedlerin auf der deutschen Kabarettbühne“ wurde 1953 in Sibirien geboren und kam 1991 nach Deutschland. Nach Ausbildungen zur Schauspielerin und Theaterregisseurin ging sie sich mit ihren „bissigen, satirischen und kulturkompatiblen“ Programmen auf Tour. Spannend dürfte auch der Abend des 26. September werden: Dann diskutieren Jugendliche aus unterschiedlichen Herkunftsländern unter dem Motto „Typisch deutsch!?“ über die Erfahrungen bei ihrer Einwanderung nach Deutschland. Verschiedene Kulturen treffen aufeinander, die Herausforderung ist jedoch für alle gleich: „Wie beginne ich ein neues Leben in Deutschland?“

Die Wanderausstellung wurde in über zehn Jahren rund 300 Mal gezeigt. „Sie soll einen kleinen Beitrag dazu liefern, die Vielfalt der Kulturlandschaft Gelsenkirchens und des Ruhrgebiets darzustellen“, sagt Manfred Beck, Kulturdezernent der Stadt Gelsenkirchen. „Schon viele unserer Ausstellungen in der flora haben sich mit dem Thema Migration beschäftigt“, sagt Wiltrud Apfeld, die Projektleiterin in Gelsenkirchen. Vor allem aber sollen Vorurteile auf beiden Seiten abgebaut werden. „Die Erfahrung zeigt, man darf nicht in einem Land leben und Fremder bleiben“, sagt Josef Schleicher von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland.

Gerade in Gelsenkirchen scheint dieses ehrgeizige Vorhaben gut zu funktionieren. Probleme mit den rund 3.800 Russlanddeutschen gibt es dort kaum. „Die Jugendlichen sind keine besonders auffällige Gruppe“, sagt Beck. In der Ortsgruppe der Landsmannschaft sind um die 70 Familien organisiert. Sie helfen Bewohnern in Übergangsheimen bei Behördengängen, dem Ausfüllen von Formularen und anderen bürokratischen Hürden. Die Jugendlichen veranstalten regelmäßig gemeinsame Treffen, Computer- oder Tanzkurse. Auch am „Tag der Vertreibung“ (von Wolgadeutschen nach Sibirien und Zentralasien im Nachkriegsjahr 1949) kommen sie regelmäßig zu einem Gedenkabend zusammen.

Russlanddeutsche – einst und jetzt„die flora“, GelsenkirchenBis 2. Oktober 2005Infos: 0209-1699105