Barbarei im Innenministerium

Flüchtlingsrat will die „skandalösen“ Rechtfertigungen von NRW-Innenminister Wolf (FDP) zu Sammelabschiebungen juristisch prüfen. Erneut wurden Familien bei Nacht und Nebel ausgewiesen

VON SUSANNE GANNOTT

Wenn Polizisten mitten in der Nacht in Wohnungen eindringen und Kinder aus ihren Betten reißen, wenn psychisch kranke Menschen von ihren Familien getrennt und abgeschoben werden – dann findet der NRW-Innenminister das völlig in Ordnung. Die behördlichen Berichte über die Sammelabschiebung am 28. Juni vom Düsseldorfer Flughafen gäben „keine Anhaltspunkte dafür, dass die jeweiligen Rückführungen nicht in rechtlich einwandfreier Art und Weise durchgeführt worden sind“, schreibt Ingo Wolf (FDP) dem NRW-Flüchtlingsrat. Für die Geschäftsführerin der Initiative, Andrea Genten, stellt Wolf damit „den Ausländerbehörden einen Persilschein für eine barbarische Abschiebepraxis aus“.

Mit einem Brief an den Minister hatte der Flüchtlingsrat Anfang Juli um Aufklärung über den Verlauf der Massenabschiebung gebeten und das brutale Vorgehen der Behörden in sechs Fällen dokumentiert. Rund 70 Flüchtlinge waren in jener Nacht nach Istanbul abgeschoben worden. In den recherchierten Fällen waren alle Abgeschobenen nachweislich traumatisiert und teilweise erst vor kurzem von Fachärzten als suizidgefährdet und nicht-reisetauglich eingestuft worden (taz berichtete).

Trotzdem bestreitet der Innenminister, dass Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen abgeschoben wurden, beklagt Andrea Genten vom Flüchtlingsrat. Die Gutachten würden offenbar ignoriert. „Die Ausländerbehörden hören lieber auf die Amtsärzte“, sagt sie, weil die so gut wie jeden Flüchtling für reisetauglich erklärten.

Empört ist Genten auch über Wolfs Einlassungen zum nächtlichen Eindringen in Wohnungen. Das sei laut Polizeigesetz NRW gerechtfertigt, wenn es etwa um Personen gehe, die gegen das Aufenthaltsgesetz verstoßen – also eine „Straftat“ begingen. „Hiermit werden Geduldete zu Kriminellen erklärt, das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung wird für Geduldete aufgehoben“, sagt Genten – und will die ministerielle Einschätzung juristisch prüfen lassen.

Unterdessen gehen die Massenabschiebungen bei Nacht und Nebel weiter. Letzten Mittwoch wurden rund 120 Flüchtlinge aus dem ganzen Bundesgebiet von Düsseldorf nach Sri Lanka abgeschoben – zum ersten Mal nach Aufhebung des Tsunami-Erlasses, der Flüchtlingen aus dem Katastrophengebiet zeitweiliges Bleiberecht gewährte. An Bord der Maschine war nach Informationen des Flüchtlingsrats auch ein Ehepaar aus dem Kreis Meschede, das nach einem gemeinsamen Suizidversuch vor zwei Jahren noch immer in psychiatrischer Behandlung ist. Ein weiterer Mann sei kurz vor dem Abflug aus einer psychiatrischen Klinik heraus geholt worden. Und eine tamilische Frau mit zwei Kindern aus dem Hochsauerlandkreis wurde abgeschoben, obwohl noch ein Antrag bei der Härtefallkommission anhängig war. Als der Ehemann und Vater von der Spätschicht nach Hause kam, war seine Familie bereits abtransportiert.

Der Superintendent des Kirchenkreises Arnsberg, Lothar Kuschnik, vergleicht die Szenerie vor dem Haus der tamilischen Familie mit Vorfällen, die in einem südamerikanischen, diktatorischen Regime spielen könnten – aber nicht im beschaulichen Sauerland. Der Kirchenkreis kritisierte, bei derartigen Aktionen würde die Menschenwürde nicht geachtet. Zudem sei es unverständlich, dass „Menschen abgeschoben werden, die voll in unsere Gesellschaft integriert sind, arbeiten, unsere Rentenkassen füllen und Steuern zahlen.“