Gläubige des Runds

Laiendarsteller aus der Fanszene, sowie „Jungschauspieler mit Bierbäuchen“ bringen in dem Stück „Hinter euren Zäunen“ bislang Gegensätzliches zusammen: Den HSV und Kultur

Der Verein ist Gott, aber die Repräsentanten sind scheiße

Wer am Dienstagabend durchs Schanzenviertel marschierte und dabei an der Hamburger Botschaft, einer der notorisch angesagten Trink-, Talk- und Tanz-Locations des Quartiers, vorbei kam, musste sich schwer wundern: Drinnen lief auf Großbildwand das UI-Cup-Endspiel zwischen Valencia und dem HSV. Ausgerechnet hier, in der Sternstraße, ein paar Steinwürfe vom Millerntorstadion entfernt. Es muss in den letzten Wochen einiges passiert sein, wenn die innerstädische Bohème plötzlich ein kleines bisschen Gefallen findet an dem alten Vorstadt- und Umlandklub.

Da passt es auf den ersten Blick bestens, dass der Theaterregisseur Martin Kreidt und der Autor Christoph Twickel jetzt zwei Begriffe zusammengebracht haben, die man bisher nicht in einem Atemzug nennen mochte: HSV und Kultur. Die beiden haben das Stück „Hinter euren Zäunen“ konzipiert, das am Donnerstag im Thalia in der Gaußstraße in Altona Premiere hat. Ihre Protagonisten sind Laiendarsteller aus der Fanszene - beziehungsweise „Jungschauspieler mit Bierbäuchen“, wie Philipp Markhardt, einer der Mitwirkenden, sagt.

„Hinter euren Zäunen“ zeigt einen Samstag im Leben eines Auswärtsfahrers. „Zum wahren Fan wird man ja erst, wenn man auswärts mitfährt“, sagt Twickel. Es ist allerdings eine Art künstliche Auswärtsfahrt: Kreidt und Twickel haben enervierende bis skurille Erlebnisse aus verschiedenen Städten komprimiert. Die neun Supporter (acht Männer, eine Frau) waten mal durch „die Scheiße vom Revier“, fühlen sich anderswo „wie die Arbeiterklasse im Hotel Vier Jahreszeiten“ und geraten auch in eine „absolute Nicht-Stadt“ in der Nähe von Braunschweig. Teilweise ist das Geschehen „comichaft“, (Twickel), teilweise hört man „selbstkritische Töne“ (Markhardt).

Die Fans in diesem „dokumentarischen Spektakel“, wie die Macher es nennen, sind keine Eventesel, sondern Vertreter einer Subkultur, die von den Strippenziehern des Fußballs immer weiter an den Rand des Spiels gedrängt werden. Sie prangern an, dass ihr Verein den Stadionnamen verscherbelt hat, finden den Vorspiel- und Pausenclown Lotto King Karl doof, und maßregeln, wenn es Not tut, Nazis auch nonverbal (einer der Schauspieler hat gerade Stadionverbot). „Das Verhältnis unserer Fan-Fundamentalisten zum Verein ist ähnlich wie das von kritischen Gläubigen zur Kirche. Der Verein ist Gott, aber die Repräsentanten sind scheiße“, sagt Twickel.

Kreidt und er haben in das Stück verschiedenartiges Videomaterial eingebaut: Impressionen von Auswärtsfahrten, die an Urlaubs- und Familienfeierbilder erinnern, sowie Ausschnitte aus Interviews mit älteren HSV-Anhängern (Jahrgang ¥53 und ¥56). Wie sich der Fußball seit der großen Zeit dieser alten Fan-Hasen entwickelt hat – das greifen, halb soziologisch, halb albern, zwei moderatoren-ähnliche Figuren auf, die von so genannten echten Schauspielern gemimt werden. Als Überraschungsgast wirkt noch ein alter HSV-Held mit. Uwe Seeler, so viel sei verraten, ist es nicht; der dürfte sich durch seine missglückte Performance als Schildkröte-Ersatz bei „Dittsche“ für weitere schauspielerische Aufgaben disqualifiziert haben.

Die Texte der Fans beruhen auf ihren eigenen Improvisationen. „Bei den ersten Proben habe ich mitgeschnitten und mitgeschrieben und daraus sind dann die endgültigen Texte entstanden“, sagt Twickel. Wie es sich für experimentierfreudiges Theater gehört, wird auch das Publikum einbezogen. Ein „Chorbattle“ (Twickel) ist vorgesehen. Dabei übernehmen Zuschauer den Gegengesang, der „nicht unbedingt klubspezifisch“ sein muss. Könnte aber passieren, „wenn in größerer Zahl Fans vom anderen Verein kommen“, sagt Philipp Markhardt. Dieser andere Verein, der aus der Nähe der Sternstraße, kommt ansonsten mit keinem Wort vor. René Martens

„Hinter euren Zäunen“, 1. bis 5. September im Thalia i. d. Gaußstraße, Hamburg