berliner szenen: Der Mensch braucht eine Aufgabe
An einem Freitagabend treffe ich ehemalige Kollegen in einer Kneipe. Als ich um 22 Uhr ankomme, haben die anderen bereits einen gewissen Pegel erreicht. Drinnen läuft Fußball, wir stehen vor der Tür, reden und rauchen. Das Gespräch kommt auf Jobs. Ein Mann hört mit, wie ich erzähle, dass ich mich gerade für einen Nebenjob an der Ikea-Kasse beworben habe, und fragt: „Haben die nicht alle KassiererInnen durch Selbstscankassen ersetzt?“ Ich erkläre, dass es noch Geldkassen gibt und auch die Selbstscankassen durch KassiererInnen betreut werden.
Er meint: „Beruhigend zu hören. Ich finde es schlimm, wenn Menschen durch Maschinen ersetzt werden.“ Er erzählt, er arbeite in der Verwaltung: „Und da gibt’s nun mal Leute, deren Job es ist, Papiere zu stempeln. Da kann doch niemand von außen kommen und sagen, das ist eine idiotische Tätigkeit, das sollen Maschinen übernehmen. Das ist deren Arbeit, die machen das gerne. Das ist für die erfüllend.“ Ich mustere ihn: „Kann man von außen sagen, dass die Arbeit erfüllend ist?“ Er überlegt kurz: „Na ja, sie ist sinnstiftend. Menschen brauchen eine Aufgabe. Das Stempeln übernehmen meist Leute, die nichts gelernt haben. Was sollen die denn sonst machen?“ Er redet sich in Rage: „Es sind doch schon genug Arbeitsplätze verloren gegangen. Zum Beispiel Onlinebanking. Früher wurden die Überweisungen alle von Hand übertragen.“
Ich denke einen Moment nach: „Das stimmt. Aber es ist auch einfach zeitsparend, seine Überweisungen online zu tätigen.“ Er nickt: „Klar, ich mache das auch manchmal – aber ich ärgere mich dann jedes Mal. So viel Zeit spare ich dabei nicht. Und die Überweisungen selbst zu machen ist unbezahlte Arbeit, die jemand anderes bezahlt bekäme. Ich möchte anderen nicht die Jobs wegnehmen.“
Eva-Lena Lörzer
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