berliner szenen: Dealer in dunklen Ecken
In meiner Kindheit bestand Berlin für mich vor allem aus Menschen. Mein Berlin, das waren meine Eltern, die Schule und meine Freunde. Der Radius meines Berlins erstreckte sich lediglich über wenige Kilometer – vom Halensee bis zum Mierendorffplatz. Daran wurde ich neulich an einem der Orte meiner Kindheit – der S-Bahn-Unterführung zwischen Adenauerplatz und Wilmersdorfer Straße – erinnert.
Beim Anblick zweier Mädchen mit Schulranzen, die händchenhaltend durch die Unterführung hüpften, musste ich an meine Grundschulfreundin und unsere Nachmittage in der Wilmersdorfer Straße denken. Wann immer wir dorthin gingen, warnte ihr Vater uns vor „den Dealern“ in der Unterführung: „Da immer beide Hände an die Hosentaschen! Sonst jagt euch noch jemand eine Spritze in den Arsch!“
Als wir uns in der vierten Klasse anfreundeten, war ich nach zwei Jahren in einem 30-Seelen-Dorf in Süddeutschland gerade wieder zurück nach Berlin gekommen. In ihrer Begleitung eroberte ich die Stadt. Die Vorstellung von Kinder jagenden Dealern in dunklen Ecken vermochte uns nur ein müdes Lächeln abzuringen. Die sollten es nur wagen, uns blöd zu kommen! Wir waren unzertrennlich und fühlten uns unverwundbar. In der Schule schrieb sie meine Mathearbeiten und ich ihre Deutschaufsätze. Wir zogen uns gleich an, und ich übernachtete so häufig bei ihr, dass es mir im Nachhinein vorkommt, als hätte ich zeitweise bei ihr gelebt.
Mit 18 verloren wir uns aus den Augen. In den letzten Jahren musste ich immer wieder an sie denken. Vor Kurzem habe ich sie ausfindig gemacht. Sie lebt mittlerweile in einem 30-Seelen-Dorf in Süddeutschland. Und lacht, als ich ihr erzähle, dass ich inmitten von Berlin Schwierigkeiten hatte, einen ruhigen Ort zum Telefonieren zu finden. Eva-Lena Lörzer
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