die woche in berlin
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Der Senat muss mehr erheblich Geld in Maßnahmen gegen Wohnungslosigkeit investieren. Stadtplanung wiederum sollte man nicht alleine Investoren überlassen, zeigt der neue Mercedes Platz am Friedrichshainer Spreeufer. Dass gegen Abgeordnete wegen der Teilnahme an Sitzblockaden ermittelt wird, freut nur die Rechten. DieselfahrerInnen dagegen dürften sich über ein Gerichtsurteil zu Dieselfahrverboten freuen.

Mehr Personal muss her

Strategien gegen Wohnungslosigkeit

Wo günstiger Wohnraum zum knappen Luxusgut geworden ist, kann man schnell wohnungslos werden. Zweimal die Miete nicht gezahlt (oder auch nur die hohen Nebenkosten nicht): zack, Kündigung und Räumung. In so einer Stadt haben es auch die – staatlichen und vom Staat beauftragten – Helfer schwer: Die Obdachlosenwohnheime sind voll, die Beratungsstellen überlaufen. Und die Bezirke, in Berlin vornehmlich zuständig für Wohnungslosenhilfe, haben viel zu wenige Mitarbeiter, um sich um alle Betroffenen kümmern zu können.

Zumal zu den von Kündigung Betroffenen noch all jene kommen, die noch nie eine eigene Wohnung in Berlin hatten, aber eine brauchen. Ehemals Geflüchtete etwa, deren Asylantrag anerkannt wurde. EU-BürgerInnen auf Jobsuche. Frauen, die ihre schlagenden Männer verlassen haben und nicht ewig im Frauenhaus bleiben können.

Die Vielfalt der Problem­lagen war das große Thema der 1. Strategiekonferenz gegen Wohnungslosigkeit im Januar. Bei der Folgekonferenz an diesem Mittwoch ging es vor allem um mögliche Lösungen. Eine davon, über die sich die Fachleute von Behörden, Wohlfahrtsverbänden, sozialen Trägern und Wissenschaft einig waren: Es braucht viel mehr qualifiziertes Personal. In den Heimen, in den Beratungsstellen, in den Ämtern.

In der Tat: Wie kann es sein, dass zum Beispiel in Spandau die Soziale Wohnhilfe, an die man sich bei akuter oder drohender Wohnungslosigkeit wenden kann/soll, nur dienstags von 9 bis 12 Uhr geöffnet hat? Was macht eine Familie, die freitags auf die Straße gesetzt wird?

Mehr Personal könnte die Bezirke auch in die Lage versetzen, Familien, denen die Räumung droht, zu Hause aufzusuchen. Bislang bekommen Betroffene allenfalls einen Brief von der Sozialen Wohnhilfe, in dem Hilfe angeboten wird, wenn man in die Beratung kommt. Doch oft, wissen die Experten, öffnen Menschen, denen gerade alles über den Kopf wächst, gar keine Briefe mehr.

Nur: Mehr Personal kostet Geld – und wie viel der Senat davon lockermacht, wird sich erst noch zeigen. Eigentlich müsste er nach der groß angelegten Offensive mit zwei Strategiekonferenzen und mehreren Hundert Beteiligten liefern. Schaun mer mal. Susanne Memarnia

Wo günstiger Wohnraum zum knappen Luxusgut geworden ist, kann man schnell wohnungslos werden

Susanne Memarnia über nötige Maßnahmen gegen Wohnungslosigkeit

Spätes Ergebnis fataler Politik

Der neue Mercedes Platz am Spreeufer

Den Tiger reiten“ wollte einst Berlins Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU). Das war in den Neunzigern, als Daimler nach einem städtebaulichen Wettbewerb einen eigenen Architektenwettbewerb gestartet hatte. Hoch hinaus wollte der Autokonzern damals am Potsdamer Platz, und Hassemer wollte ihn zähmen. Das Ergebnis ist bekannt. Am Potsdamer Platz entstand kein Stück normales Berlin, sondern das, was sich Investoren unter Stadt vorstellen: Vergnügen, Geld, aseptisches Ambiente.

Am Donnerstag wurde nun der Mercedes Platz am Friedrichshainer Spreeufer vorgestellt, am Samstag wird er offiziell eröffnet. Und es scheint, als habe Berlin aus den Fehlern am Potsdamer Platz nichts gelernt. Vor der Mercedes Benz Arena gruppieren sich eine Music Hall, ein Großkino, eine Bowlingbahn, zwei Hotels und 20 Restaurants. Von einem „lebendigen Stadtquartier“ spricht die Anschutz Gruppe, die das alles initiiert hat. Wenn es nicht so bitter wäre, könnte an dieser Stelle laut gelacht werden.

Doch wurden in dem Quartier an der Spree nicht die gleichen Fehler wiederholt wie am Potsdamer Platz: Es ist das späte Ergebnis der gleichen fatalen Politik. Baurecht für das Anschutz-Quartier gab es ebenfalls schon in den neunziger Jahren – in einer Zeit also, als mancher froh war, wenn sich auf den riesigen Brachen im Ostteil der Stadt überhaupt etwas bewegte. „Besser ein Investor als eine Brache“ lautete das Credo. Heute wissen wir, dass mehr Zeit für solche Entscheidungen weniger Investorenarchitektur zum Ergebnis gehabt hätte.

Ein Trost? Nur wenn tatsächlich aus diesen Fehlern gelernt wird. In der Europa City nördlich des Hauptbahnhofs hat es nicht den Anschein. Östlich der Warschauer Brücke bemüht sich der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg dagegen um eine Lösung für das RAW-Gelände, die nicht nur den Interessen des Investors Rechnung trägt, sondern auch denen der Anwohner und der Nutzer.

So könnten sich bald zwei Quartiere gegenüberstehen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch beide in Friedrichshain liegen. Dort der Mercedes Platz und das ihn umgebende öde Investorenquartier. Auf dem RAW-Gelände dagegen die Weiterentwicklung eines Quartiers von unten. Zur Wahrheit gehört aber auch: Beide sind Vergnügungsquartiere. Nur mit dem Unterschied, dass auf dem Mercedes Platz die Vorstadt- und Umlandjugend aufschlägt, auf dem RAW-Gelände die Generation Easy­jet. Uwe Rada

Grüne leider viel zu zaghaft

Ermittlungen wegen Beteiligung an Protesten

Im Jahr 2010 war Wolfgang Thier­se Bundestagsvizepräsident, Wolfgang Wieland Bundestagsabgeordneter der Grünen, Günter Piening Berlins Integrationsbeauftragter, Matthias Köhne SPD-Bürgermeister von Pankow, Benedikt Lux saß schon damals für die Grünen im Abgeordnetenhaus. Und alle zusammen saßen auf der Straße. Am 1. Mai nämlich, als 700 NPD-Anhänger durch Prenzlauer Berg ziehen wollten, aber nicht konnten, weil fast zehnmal so viele Gegendemonstranten die Route blockierten – darunter auch die fünf Politiker.

Das Nachspiel: Schaum vorm Mund bei CDU und Polizeigewerkschaft, ein neuer Spitzname für den Bundestagsvizepräsidenten, der sich fortan „Blockierse-Thierse“ nennen durf­te. Anfänglich ermittelte die Staatsanwaltschaft, doch die Verfahren wurden eingestellt, ohne dass auch nur die Immunität der Abgeordneten aufgehoben werden musste.

Für den zumindest halbwegs bewegungsorientierten Teil von Linken, Grünen und bisweilen auch der SPD gehört es spätestens seit diesem Ereignis zum guten Ton, sich bei antifaschistischen Gegenprotesten blicken zu lassen. Dass die reine Beteiligung an einer Sitzblockade ein Strafverfahren nach sich zieht, ist ohnehin äußerst selten, meist wird sie nicht einmal als Ordnungswidrigkeit geahndet.

Oder muss man schreiben: wurde? In dieser Woche wurde bekannt, dass gegen zwei Bundes- und vier Landtagsabgeordnete von Grünen und Linken ermittelt wird, weil ihnen eine Beteiligung an den Blockaden des rechten „Frauenmarschs“ in Kreuzberg letzten Februar vorgeworfen wird. Ein Paradigmenwechsel und ein fatales Signal in Zeiten, in denen antifaschistischer Protest so notwendig wie lange nicht mehr scheint. Und ein Erfolg für die Rechten, denen die breite gesellschaftliche Akzeptanz von Sitzblockaden gegen rechtsextreme Aufmärsche ein Dorn im Auge ist.

Wolfgang Thierse verteidigte seine Beteiligung an der Blockade damals mit den Worten, er als Bundestagsvizepräsident habe die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten wie alle anderen auch. Ein guter Satz und eine klare Haltung, von der sich die Grünen heute eine Scheibe abschneiden könnten. Sie äußerten sich in dieser Woche auffallend zaghaft zu den Vorwürfen. Dass man der Justiz als Politiker nicht reinreden will, ist nachvollziehbar und richtig.

Trotzdem: Genau jetzt wäre der Zeitpunkt, das Mittel der Sitzblockade offensiv und politisch zu verteidigen und zu seiner eigenen Teilnahme zu stehen, anstatt diese verdruckst als reine Beobachtung herunterzuspielen. Das wäre politisch geboten – und dem eigenen Ansehen muss es, siehe Wolfgang Thierse, auch nicht schaden.

Malene Gürgen

Stecknadeln im Heuhaufen

Solche Dieselverbote bringen gar nichts

DieselfahrerInnen konnten am Dienstag aufatmen: Da entschied das Verwaltungsgericht, den Senat zum zügigen Erlassen von Fahrverboten zu verdonnern – für Dieselfahrzeuge der Schadstoffklassen bis Euro 5.

Wieso dann aufatmen? Ganz einfach: Die Verbote werden vorläufig nur Abschnitte von acht Hauptverkehrsstraßen betreffen, vielleicht noch ein paar mehr – das haben die Richter der Verkehrsverwaltung zur Prüfung aufgegeben. Betrachtet man diese Abschnitte auf einem Stadtplan, sehen sie aus wie Stecknadeln im Heuhaufen. Diese Verbote bringen: gar nichts.

Selbst wenn sich alle betroffenen DieselfahrerInnen daran hielten, würde das zwar die Luftbelastung mit Stickstoffdioxid auf ein paar hundert Metern Straße senken. Aber gleich nebenan – dort, wohin die Fahrzeuge ausweichen würden – stiege sie. In der Summe bliebe die Schadstofflast in der Innenstadt gleich oder erhöhte sich sogar, weil Umwege eben länger sind als Direktverbindungen.

Das Wahrscheinlichste ist allerdings: Viele, vielleicht die meisten, werden auf die Verbote pfeifen. Weil ernst zu nehmende Kontrollen einen absurden Aufwand bedeuten würden. Unzählige Polizeibeamte müssten Tausende von Fahrzeugen an den Rand winken, um festzustellen, ob überhaupt eine Ordnungswidrigkeit vorliegt. Und natürlich würden die einschlägigen Radiosender in Echtzeit vor solchen Kontrollen warnen.

Die berühmte blaue Plakette, die Verkehrssenatorin Regine Günther seit Jahr und Tag fordert, könnte das Prozedere ein wenig erleichtern, wird aber so schnell nicht kommen. Wirklich Sinn hat auch sie im Übrigen nur, wenn das Verbot gleich für die gesamte Umweltzone gälte. Dann wären selbst geparkte Schmutzdiesel identifizierbar. Das Gericht hat diese Variante aber verworfen.

Insofern war der Dienstag kein allzu „guter Tag für saubere Luft“, wie Jürgen Resch, Chef der klagenden Deutschen Umwelthilfe, meint. Zwar kündigte ihr Anwalt an, die Verkehrsverwaltung müsse bis März herausfinden, ob sie das NO2-Problem trotz der zu erwartenden Ausweichverkehre in den Griff bekomme, und wenn nicht, doch ein „zonales Fahrverbot“ erlassen. Das ist letztlich Gesichtswahrung: Denn passieren wird es nicht. Claudius Prößer