Das Glück ist mit dem Süchtigen

Der kluge Biertrinker schätzt die Verlässlichkeit des Bieres und will seinen Brauer achten

„Wir bringen damit ein cooles Bier auf den Markt, das mild, spritzig und frisch ist, so, wie es vor allem junge Leute mögen. Mit X. zeigen wir, dass wir als Brauerei innovativ sind, um ein Bier auf den Markt zu bringen, das absolut im Trend liegt. Wir sind uns sicher, dass junge Leute zu unserem X. greifen. Außerdem werden Promoter-Teams in Szenekneipen zum Flaschendrehen einladen und sofort fetzige Preise verteilen.“

In diesem zum Weinen törichten Soziolekt manifestiert sich die allerorten zu beobachtende Erniedrigung einer x-beliebigen mittelgroßen Brauerei. Statt auf die viel beschworenen Selbstheilungskräfte des Getränkemarktes zu vertrauen, he(u)chelt der ins Fleisch gekommene Opportunismus allen angeblichen Trends hinterher, um damit jedoch nur den eigentlichen Haupttrend zu verstärken, dass nämlich der Oralverzehr mit Bier weiter an Beliebtheit einbüßt.

Das hat enorm viel damit zu tun, dass pro Brauerei mindestens ein windköpfiger Esoteriker das Sagen haben muss, der die Institution des alltäglichen Biertrinkers zum Bestandteil einer Zielgruppe umkneten möchte, der man die freiwillige Partizipation an der Simulationsblase unterstellt, die uns überall als Neoliberalismus verkauft wird. Noch lieber degradieren sie mit dümmsten Tricks und Trucks die Getränkehändler zu Spielzeugverkäufern. Alkoholfreie Biere, Lightbiere, Drybiere, Icebiere, Landbiere, Radler, Alkopops, die neuen Milden, Landbiere, Vollmondbiere, Slowbeer, Wellnessbiere, Anti-Aging-Biere – denn nur ein verkaufter Hektoliter ist ein guter Hektoliter!

Was der kluge Biertrinker aber gänzlich unabhängig von seiner politischen Disposition schätzt, ist die Verlässlichkeit dieses Getränkes, und seinen Brauer will er achten und verehren. Früher hieß es abwertend, wer nichts wird, wird Wirt. Seitdem die Bierlokale zu Locations verwahrlosten, sind die meisten Wirte ein Nichts. Bewirtung aber ist mehr als einfach nur Bedienung.

Stimmen nämlich die Umstände, kann es ein Bock, ein Märzen, ein Kölsch, ein Pilsener, ein Weizen, ein Sonstwas sein … aus der Flasche, aus dem Fass, völlich wurscht. Wir können unserer Herzensdame freundliche Dinge zuflüstern, hören vielleicht die Lieblingsmusik oder den klugen Freunden zu. Dann schmeckt auch zum Abschluss der Biergartensaison das erstbeste Allerweltsbier wie das beste Bier der Welt. Dann scheint selbst die Brauerei B. von um die Ecke vorübergehend so gebraut zu haben, als könne die Maxime ihres Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Braugesetzgebung gelten.

Unerreicht ist dann die Leichtigkeit, mit der die unterschiedlichsten Stände in erheblicher Dummheitsferne ihr Sein und Dasein und Sosein für ein paar Stunden beurlauben, um sich den flüssigen Katalysator des kleinen Glücks zuzurüsten. Draußen mag ruhig das Abendland untergehen. Drinnen können wir durch unseren bierschwangeren Odem die Oberfläche der blöden Erscheinungswelt mit den angenehmsten Fröhlichkeitspartikelchen bedämpfen. Bier ist unsere bewusstseinserheiternde Droge, welche die gute Stimmung verstärkt und die schlechte konsequent abmildert. Danach wollen wir süchtig sein. Egal, ob es in südlich verbreiteten Maßkrugtonnen fast an den Rand der Verderbnis gedrängt wird oder in nördlich gehandhabten Fingerhüten schon vor dem Austrinken beinahe verdunstet. Beim Biertrinken amtiert die täglich neu zu konstituierende Kommandoebene eines Lebensverschönerungsvereines, der auf die normative Kraft des Prophylaktischen baut. Erst mal ein gutes Bier und womöglich gleich eins hinterher. Und noch eins. Wer weiß, wozu es gut ist. Mindestens als Lebensmittel, Durstlöscher, Kochzutat, Genussmittel oder einfach nur Ferment fröhlichen Miteinanderseins. Wir merken uns: Das Glück ist mit dem Süchtigen.

MICHAEL RUDOLF