die woche in berlin
:

Der Senat zieht eine erste Bilanz des Kooperationsvertrags mit den sechs landeseigenen Wohnungsgenossenschaften. Anrainer der Museumsinsel wehren sich gegen zu viele Reisebusse. Die Begegnungszone Bergmannstraße nimmt Gestalt an. Und der Senat lehnt das Volksbegehren zur Videoüberwachung zwar als nicht verfassungsgemäß ab, schiebt aber die abschließende Entscheidung dem Verfassungsgericht des Landes zu

WBM & Co: Ausreizen, was geht

Senat muss den Anstieg der Mieten begrenzen

Es ist kein leichtes Unterfangen, die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften auf einen Sozialkurs zu verpflichten. Zu lang wurden sie darauf getrimmt, Wettbewerber im kapitalistischen Markt zu sein. Profite waren wichtiger als das Gemeinwohl und die Politik hat das auch noch befördert. Dass das Stadtentwicklungsressort nach der Wahl 2016 an die Linke fiel, wurde in den Chefetagen der Unternehmen dann auch wenig erfreut zur Kenntnis genommen.

Mit der Kooperationsvereinbarung, die das Land Berlin unter Verantwortung von Senatorin Katrin Lompscher mit den Gesellschaften im Juli vergangenen Jahres geschlossen hat, ist immerhin ein erster Schritt auf dem Weg hin zu einer sozialeren Ausrichtung gelungen. Der am Mittwoch vorgestellte Bilanzbericht zeigt: Howoge und Co. haben sich an ihre neuen Vorgaben gehalten. Um durchschnittlich 1,9 Prozent wurden die Mieten 2017 angehoben – 2 Prozent waren erlaubt.

Das Ausschöpfen dessen, was möglich ist, und insgesamt 126.000 verschickte Mieterhöhungen zeigen aber auch: Die Unternehmen sind nur so sozial wie vorgegeben. Immerhin: 2-Prozent-Steigerungen treiben die MieterInnen nicht in Massen aus ihren Wohngen, sie sind aber immer noch mehr als die durchschnittliche Teuerungsrate. Die lag 2017 in Deutschland bei 1,8 Prozent. Warum die Mieten schneller steigen sollten, ist nicht zu erklären.

Problematisch sind aber vor allem die Steigerungen der Neuvermietungspreise um etwa 10 Prozent innerhalb eines Jahres – 7,09 Euro statt 6,40 pro Quadratmeter. Damit tragen die landeseigenen Unternehmen weiterhin zum Überhitzen des Marktes bei. Die Erhöhungen werden sich im Mietspiegel niederschlagen und das allgemeine Preisniveau noch weiter nach oben verschieben. Die Kooperationsvereinbarung muss überarbeitet werden. Es braucht eine Begrenzung auch bei Neuvermietungen.

Vor allem aber geht es darum, langfristig aus dem Marktdenken auszubrechen. Die Landeseigenen müssen nicht Jahr für Jahr Gewinne erwirtschaften. Ihre vordringlichste Aufgabe sollte es sein, den Mietenanstieg in der Stadt zu bremsen und so viele bezahlbare Wohnungen wie möglich anzubieten. Für Neubauten und Ankäufe sollte die Politik zusätzliches Geld bereitstellen. Erik Peter

Die Bussi-Bussi-Besucher

Streit über Konzept für Reisebusse in Mitte

Touristen sind in einigen überlaufenen Städten ja inzwischen personae non gratae. So weit ist es in Berlin noch nicht. Aber angesichts ihrer seit Jahren steigenden Zahl und vieler Gegenden, die rein auf Touristen zugeschnitten sind, stellt sich mehr denn je die Frage: Wie umgehen mit den Rollkofferhorden?

Ein aktueller Konflikt auf der Museumsinsel ist ein weiterer Beleg dafür, dass sich die Stadt darüber zu wenige Gedanken macht, und von Rot-Rot-Grün hätte man auch in dieser Hinsicht mehr erwartet. Da wehren sich auf einer Pressekonferenz am Dienstag in seltener Eintracht sechs Anrainer der Museumsinsel – darunter das Humboldt Forum, der Dom und die Hochschule für Musik Hanns Eisler – gegen die Idee der Senatsverkehrsverwaltung, im November vor der Musikhochschule drei Haltebuchten für Reisebusse zu bauen. Der Plan ist schon zehn Jahre alt und stammt aus einer Zeit, als vom Retroschloss noch nicht mal klar war, wie es aussehen sollte. Trotzdem hat offenbar niemand in der Verwaltung von Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für die Grünen) daran gedacht, über diese Idee noch einmal nachzudenken.

Gut tausend Besucher pro Stunde sollen in Spitzenzeiten mit dem Bus auf die Insel gekarrt werden, wenn Ende kommenden Jahres das Humboldt Forum eröffnet ist – das entspricht, so die offiziellen Berechnungen der Schlossbauherren, knapp 30 Busladungen. Um deren Lärm und Abgasen zu entgehen, schlagen die sechs Anrainer vor, dass die Busse künftig jenseits der als Weltkulturerbe bekannten Insel ihre Fracht ein- und entladen.

Ganz verzichten wollen sie aber auf die (in doppelter Hinsicht) bequemen Bussi-Bussi-Touristen nicht: Obwohl die Museumsinsel ab Ende 2020 dank der verlängerten U5 perfekt zu erreichen sein wird, setzt sich keiner der sechs Anrainer dafür ein, die Reisebusse künftig fernab der Touristenhotspots – in Berlin etwa am S-Bahn-Ring –, zu stoppen und die Passagiere auf U- oder S-Bahn umleiten zu lassen.

Dabei wäre das eine Idee, die zum einen in vielen anderen großen europäischen Städten längst umgesetzt ist. Zum anderen wäre sie viel eher dazu geeignet, die Debatte über ein nachhaltiges Konzept für Reisebusse anzustoßen, als ein Streit über drei Parkbuchten diesseits oder jenseits der Museumsinsel.

Bert Schulz

NehmtmehrRücksicht!

Begegnungszone in der Bergmannstraße

Jetzt surren in der Kreuzberger Bergmannstraße die Akkuschrauber: An die zwanzig „Aufenthaltsmodule“ und halb so viele „Querungsmodule“ sowie Fahrradabstellanlagen werden in den kommenden Wochen die meisten Parkplätze am Rand der Alternativ-Flaniermeile ersetzen. Die auch „Parklets“ genannten Elemente sollen die stark befahrene Straße testweise zur „Begegnungszone“ machen.

Im Sinne einer modernen Verkehrs- und Stadtpolitik, die die Straße als öffentlichen Raum begreift, der nicht mehr in erster Linie fahrendem und parkendem Blech vorbehalten sein sollte, ist das auf jeden Fall zu begrüßen. Zusammen mit der neuen Parkraumbewirtschaftung im Kiez werden diese Maßnahmen die Straße sicherer, ruhiger und dabei – wahrscheinlich – belebter machen. Man muss ja auch wirklich nicht warten, bis im stetig zunehmenden Gewusel aus FußgängerInnen, Rad- und AutofahrerInnen jemand zu Schaden kommt, um für Entschleunigung zu sorgen.

Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht: Von einer allgemeinen und irgendwie auch sehr menschlichen Veränderungsunlust mal abgesehen, ist die Skepsis vieler in Sachen „Aufenthaltsmodule“ durchaus begründet. Was beim „Parking Day“, wenn Initiativen Autoparkplätze kurzzeitig zur Picknick- oder Spielzone umfunktionieren, so schön entspannt reclaim-the-streets-mäßig rüberkommt, kann im echten Leben ganz schön nerven. Dann nämlich, wenn auf den stylishen Hockern, Liegen und Tischchen nächtliche Gelage gefeiert werden und morgens niemand den Partysiff beseitigt. Bei den beiden Parklets, die als Vorab-Testlauf für den Testlauf schon diesen Sommer aufgebaut worden waren, ließ sich diese Tendenz besichtigen.

Dass sich die BerlinerInnen ungern etwas überhelfen lassen, hat sich in der ersten Begegnungszone in der Schöneberger Maaßenstraße gezeigt, die nach anhaltenden Protesten jetzt noch einmal umgestaltet wird. Insofern ist es gut und richtig (wenn auch so manchem ob der damit verbundenen Kosten schwer zu vermitteln), dass der Bezirk es mit der Bürgerbeteiligung ernst meint und das Ende ein offenes ist. Vielleicht schält sich so ja doch noch ein neues Gesicht der Bergmannstraße heraus, mit dem sich auch ihre Bewohner anfreunden können. Dazu würde aber auch eine Kultur der Rücksichtnahme gehören. Für neue Ideen, wie man das TouristInnen nahebringt, ist man im Kiez sicher dankbar. Claudius Prößer

Die Skepsis vieler in Sachen „Aufenthalts­module“ ist durchaus begründet

Claudius Prößer über die beginnenden Arbeiten in der temporären Begegnungszone Bergmannstraße

Nicht auf Nummer sicher

Senat stoppt Video-Volksbegehren

Ob der Berliner Senat feige ist, wie die CDU meint? Weil er eine Abstimmung verhindert? Weil er das Volksbegehren zur Videoüberwachung zwar als nicht verfassungsgemäß ablehnt, aber die abschließende Entscheidung dem Verfassungsgericht des Landes zuschiebt? Nein. Es ist vielmehr das Klügste, was die rot-rot-grüne Koalition tun kann, politisch wie taktisch.

Politisch, weil auf diese Weise der Vorwurf ins Leere läuft, der Senat blockiere aus ideologischen Gründen eine Abstimmung über mehr Videoüberwachung – denn das letzte Wort wird nun das Gericht haben. Taktisch, weil die Koalition selbst bei einem anders ausfallenden Gerichtsurteil so schon ihr Minimalziel erreicht hat: Es kann nun aus Zeitgründen keinen Volksentscheid mehr parallel zur Europawahl Ende Mai 2019 geben. Das verringert die Chancen der Video-Befürworter.

Reine Taktik bar wirklicher juristischer Überzeugung ist aber bei der ablehnenden Entscheidung des Senats vom Dienstag nicht zu vermuten: Denn kommt das Gericht zu einer anderen Auffassung, ist die Innenverwaltung und mit ihr der komplette Senat blamiert, der sich ihre „nicht verfassungsgemäß“-Einschätzung zu eigen gemacht hat. Eine Fehleinschätzung nach sechs Monaten rechtlicher Prüfung würde ein mehr als schlechtes Licht auf die Kompetenz der Behörde werfen.

Natürlich wäre es schön, per Volksentscheid zu erfahren, ob eine Mehrheit der Berliner wie Linkspartei, Grüne und Teile der SPD Persönlichkeitsrechte tatsächlich stärker gewichtet als mehr Aufklärung, vielleicht sogar Abschreckung durch Videoüberwachung. Dass es – wenn das Gericht das nicht doch anders sieht – nicht dazu kommt, liegt aber weder an Innensenator Andreas Geisel noch an seiner Verwaltung oder dem Senat insgesamt, sondern an der hinter dem Volksbegehren stehenden Initiative „Sicherheit in Berlin“.

Die wusste genau, dass Geisels Juristen mutmaßlich jeden einzelnen Satz darin auf Verfassungsmäßigkeit abklopfen würden. Die Initiative hätte ihr Vorhaben konkreter, wasserdichter formulieren – schlicht gesagt: auf Nummer sicher gehen müssen. Stefan Alberti