OHNE SUNNITEN ÖFFNET IRAKS VERFASSUNG TÜR UND TOR FÜR NEUE KRIEGE
: Demokratisch und gefährlich

Es wurde geblufft, intrigiert und koaliert, es wurde mit Gesprächsboykott gedroht, und dann doch weiter verhandelt und nachgebessert – nervenaufreibend zwar, aber demokratisch – auch wenn die Sunniten den Entwurf nicht unterstützen. Insofern möchte man den Verfassungsautoren jetzt nur zu gerne zurufen: Glückwunsch! Zumal die Verfassung nicht so schlecht ist, wie es manch einer im Verlauf des monatelangen Tauziehens befürchtet hat. Sie ebnet weder zwangsläufig den Weg zu einem Gottesstaat, wie dies Teile der Schiiten wollten, noch können sich Kurden und Schiiten ohne weiteres den Ölreichtum unter den Nagel reißen und die sunnitisch-arabische Minderheit am langen Arm verhungern lassen.

Im Irak sind die Zeiten des Zentralismus passé, sollte die Verfassung im Referendum angenommen werden. Das ist eine Chance und eine Bürde für das Zweistromland zugleich. Durch die Gründung von Teilstaaten können Konflikte vermieden werden – so können Schiiten und Sunniten in ihren Regionen die Verfassung islamisch auslegen, ohne dass die Kurden dazu gezwungen werden. Die Kantonisierung des Landes eröffnet freilich auch Tür und Tor für Kriege um Landgewinne zwischen verfeindeten Fraktionen. Doch darum ging es den sunnitischen Unterhändlern nicht – sie haben nach der Alles-oder-nichts-Methode verhandelt. Sie tun sich schwer mit dem Machtverlust und glauben, das Rad lasse sich zurückdrehen.

Dass die Schiiten und die Kurden sich von der ehemaligen Herrschaftselite die Zukunft des Irak nicht diktieren lassen wollen, ist verständlich. Grund zur Genugtuung haben sie freilich nicht. Es ist weder ihnen noch den Amerikanern und der UNO gelungen, die Macht der Militanten zu brechen. Damit liefern sie die gemäßigten unter den Sunniten weiter der Guerilla von Saddams Sicherheitsapparat und den Dschihad-Terroristen aus. Kurden und Schiiten pokern hoch, wenn sie glauben, in den sechs Wochen bis zum Referendum das Blatt in den sunnitischen Gebieten wenden zu können. Es wäre gut, die Hilfe der UNO und der Nato-Friedenstruppen anzufordern. Denn alleine werden die Amerikaner die neuen Konflikte nicht lösen können. INGA ROGG