Verfassung für den Irak unterzeichnet

Schiiten und Kurden legen Entwurf vor. Über die Machtverteilung zwischen Bagdad und Regionen soll das künftige Parlament entscheiden. Sunniten wollen beim Referendum für ein „Nein“ mobilisieren. Rund 1.000 Häftlinge aus Abu Ghraib entlassen

AUS ERBIL INGA ROGG

Gegen den Widerstand der arabischen Sunniten haben Schiiten und Kurden gestern die von ihnen ausgearbeitete Verfassung verabschiedet. Am frühen Nachmittag wurde der Entwurf dem Parlament zur Beratung vorgelegt, die Sitzung dann aber verschoben. Zuvor hatte die 71 Personen starke Verfassungskommission das Dokument unterzeichnet. Nur drei der 15 arabischen Sunniten leisteten ihre Unterschrift, unter ihnen Vizepräsident Ghasi Adschil al-Jawer. Der sunnitische Parlamentspräsident Hadschim al-Hassani war bei der Parlamentssitzung nicht anwesend, soll dem Dokument nach Angaben seines schiitischen Vizes Hussein Schahrastani aber zugestimmt haben.

Zwar ist eine wochenlange Zitterpartie jetzt zu Ende, in der sich immer wieder neue Koalitionen und Konflikte ergeben hatten. Doch sind damit auch die Bemühungen um einen Konsens zwischen arabischen Schiiten, Sunniten sowie Kurden gescheitert. Sunnitische Unterhändler kündigten an, beim Referendum im Oktober die Wähler für ein „Nein“ zu mobilisieren. „Wir haben dieser Verfassung nicht zugestimmt“, sagte der sunnitische Unterhändler Hussein al-Falludschi. „Wir haben die gleichen Einwände wie an Tag eins.“ Die Sunniten werden „Nein zur amerikanischen Verfassung sagen“.

Bis zuletzt kreiste der Streit um den Föderalismus sowie das Verbot der Ex-Baath-Partei, die das Land beinahe 35 Jahre lang beherrscht hatte. Dabei machten Schiiten und Kurden über das Wochenende noch einmal Zugeständnisse, im Grundsatz waren sie aber nicht bereit, von ihren Positionen abzurücken.

Im jetzigen Text ist statt von der „Saddamistischen Baath-Partei und ihren Symbolen“ nur von der „Saddamistischen Baath und ihren Symbolen“ die Rede. Zwar gibt es in dieser Frage auch unter den Schiiten Fraktionen, die zu weiteren Zugeständnissen bereit wären. Grundsätzlich besteht aber Einigkeit, dass das Land eine „Entbaathifizierung“ durchlaufen sollte. Im Konflikt um den Föderalismus sieht der Grundgesetzvorschlag vor, dass die Machtverteilung zwischen Bagdad und den Regionen vom künftigen Parlament gesetzlich geregelt wird. Die Autonomie Kurdistans sei aber garantiert, sagte das kurdische Kommissionsmitglied Munther Fadhel.

Den Sunniten gingen diese Zugeständnisse nicht weit genug. In einer überraschenden Wende hatten sunnitische Unterhändler am Samstag einen eigenen Entwurf eingebracht. In diesem fehlte der Passus zur Baath-Partei ganz, was besonders die Schiiten schwerlich als Kompromissangebot verstehen konnten. Im Streit um die Dezentralisierung ging der sunnitische Vorschlag kaum über das hinaus, was zu Zeiten Saddams galt – einzig den Kurden wurde ein Sonderstatus zugestanden. Zudem verlangten sunnitische Vertreter, die Föderalisierung so lange wie möglich zu verschieben. Darauf wollten sich aber weder Schiiten noch Kurden einlassen.

Trotzdem sah es am Samstag kurzfristig so aus, als würden die Gespräche in einer weitere Runde gehen. Bis spät in die Nacht versuchte der US-Botschafter Salmay Khalilsad die Fraktionen dazu zu bewegen.

Darüber hinaus entließen die Amerikaner auf Wunsch der irakischen Regierung rund 1.000 Gefangene aus dem berüchtigten Straflager Abu Ghraib. Die Amnestie hatte wenige Tage zuvor der kurdische Staatspräsident Jalal Talabani angekündigt. Damit kamen Iraker und Amerikaner einer sunnitischen Forderung entgegen, tausende Häftlinge freizulassen, damit sie sich am Verfassungsreferendum beteiligen können. Ein Großteil der rund 12.000 Häftlinge in US-Gefangenenlagern sind Sunniten, aus denen sich die Untergrundbewegung rekrutiert. Keiner der Entlassenen habe sich schwerer Straftaten wie Bombenanschläge, Folter, Entführung oder Mord schuldig gemacht, erklärte das US-Militär.

Sollte nicht noch eine überraschende Wende eintreten, wird im Oktober über die Verfassung abgestimmt. Wie es in Bagdad heißt, ist das Dokument bereits in Druck, um eine landesweite Debatte zu ermöglichen. Die Verfassung scheitert, wenn in drei der 18 Provinzen Zweidrittel der Wähler mit Nein stimmen. Die Sunniten bilden in mindestens drei Provinzen die Mehrheit.

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