“Sie gelten nur als Opfer“

SEXARBEIT Seit 25 Jahren berät der Verein Nitribitt Prostituierte und vertritt ihre Interessen

■ 40, arbeitet als Sozialarbeiterin bei Nitribitt. Der Verein berät seit 25 Jahren Prostituierte und vertritt deren Interessen.

taz: Frau von Lengerke, offiziell dürften Sie in Ihrer Beratung für Prostituierte nicht viel zu tun haben.

Julia von Lengerke: Ja, nach wie vor melden sich die Betriebe nicht offiziell als Bordelle an. Das finden wir unglücklich. Aber unser Augenmerk liegt auf den 300 bis 500 Frauen in Bremen. Viele sind sehr wohl beim Finanzamt angemeldet – allerdings nicht als Prostituierte, sondern etwa als Massage-Dienstleisterin.

Prostitution ist seit 2002 legal. Hat sich nichts geändert?

Die Frauen können sich sozial und krankenversichern. Alles andere hat sich nicht verändert, weil das Prostitutionsgesetz nie weiterentwickelt wurde. Nach wie vor finden die Frauen keine Anerkennung in der Gesellschaft. Die Diskriminierung wird eher schlimmer.

Wie äußert sich das?

Auch mir schlägt oft eine negative Haltung entgegen, wenn ich erzähle, wo ich arbeite. Prostitution sei schmutzig und moralisch hoch verwerflich. Es wird nicht gesehen, dass die Frauen auch eine Aufgabe in unserer Gesellschaft haben.

Inwiefern?

Ich weiß nicht, wohin sich all die Energie kanalisieren würde, wenn die Sexarbeiterinnen ihre Dienste nicht anbieten würden. Vielleicht ist die ein oder andere Ehefrau froh, wenn ihr Mann bestimmte Bedürfnisse woanders befriedigt und sie nicht damit behelligt. Sie gelten nur als Opfer, dabei sind sie normale Ehefrauen, Geschäftsfrauen und Mütter.

Und die Zwangsprostitution?

Natürlich ist das ein Problem, ebenso der Menschenhandel. Aber es hat nichts mit Prostitution zu tun, sondern ist sexualisierte Gewalt an Frauen.

Mit welchen Problemen kommen die Frauen zu Ihnen?

Wir helfen ihnen bei der Buchführung, bei der Suche nach einem Kindergartenplatz oder einem Sprachkurs. Oft gibt es Probleme mit der Krankenversicherung, wo Sexarbeiterinnen abgelehnt werden. Dann kann es darum gehen, Lücken im Lebenslauf zu schließen. Wir beraten auch Eltern oder Partner, die damit nicht zurechtkommen. Wenn die Frauen Opfer von Gewalt wurden, kommen sie zu uns, weil ihnen woanders gesagt wird, als Prostituierte müssten sie damit rechnen. INTERVIEW: JPB

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