wortwechsel
: Brüder und Schwestern? Nö. Keine Einheit in Sicht

Stempel, Schubladen, Hierarchien – alles ungerecht? Ost oder West, einheimisch oder zugezogen, Kassen- oder Privatpatient? Bei Letzteren ist wenigstens das Essen gleich fies

„Wir für Deutschland“. Demo am 3. Oktober 2018, Berlin Foto: Karsten Thielker

Der Sachsen-Stempel

„Wir waren wie Brüder“, taz vom 1. 10. 18

Vielen Dank und ein ganz großes Lob an Daniel Schulz für den Bericht über seine Jugend zur Wendezeit und die absolut nachvollziehbare Beschreibung der prägenden Erfahrungen seiner Generation.

Ich gehöre auch zu dieser Generation, und trotzdem trennen uns Welten. In meiner Jugend in einer Kleinstadt am Rand des Ruhrgebiets wäre niemand auf die Idee gekommen, dass typische Naziklamotten cool sein könnten. Und die Staatsmacht erlebten wir leider überhaupt nicht als ohnmächtig. Ich habe keine Antifademo oder andere politische Aktion erlebt, bei der „die Macht“ nicht durch unzählige Polizist*innen mit Kesseln und Ingewahrsamnahme demonstriert werden konnte – und meistens auch wurde. Aber wenigstens waren wir mehr. Nazis waren nicht cool.

Nun lebe und arbeite ich seit einigen Jahren in Sachsen. Es gibt hier im Osten sehr viele Menschen, die sich gegen Nazis engagieren. Als Zugezogene fühle ich mich nicht ganz so emotional betroffen, wenn die Sachsen alle als hinterwäldlerisch, lebensfern oder eben auch pauschal als Nazis abgestempelt werden. Aber für meine in Sachsen geborenen Freunde, die sich gegen Faschos engagieren, schäme ich mich für dieses überhebliche Wessi-Getue.

Es wäre ganz einfach, die tatsächlich bestehenden Benachteiligungen der im Osten Deutschlands lebenden Menschen aufzuheben, und ich verstehe nicht, warum aktuelle Gleichberechtigung nicht als politisches Mittel gegen Jammern, Schimpfen und Protestwahl eingesetzt wird. Ich frage mich doch manchmal auch, warum ich nicht in den Westen zurückgehe, wenn ich in allen alten Bundesländern bei gleicher Gehaltsgruppe 400 Euro mehr verdienen würde. Das ist unfair! Daisy Kratz, Leipzig

Die DDR war ihnen fremd

„Ostdeutschland ist nicht Ruanda“, taz vom 2./3. 10. 18

Zum alljährlichen 3.-Oktober-Ritual gehört die Frage nach der Verwirklichung der Einheit. In diesem Zusammenhang meint der Ostbeauftragte Christian Hirte, der Westen sei auf die konkrete Situation der Wiedervereinigung nicht vorbereitet gewesen und habe sie teilweise falsch eingeschätzt. Richtig, oder schlimmer: Viele, besonders Jüngere, waren gar nicht wild auf diese Wiedervereinigung. Meine damaligen Leistungskursschüler hätten sich lieber mit Teilen Frankreichs oder Englands vereinigt, die DDR war ihnen im westlichen Westen, im Rheinland, total fremd und erschien trotz Klassenfahrt nach Berlin Ost wie West und Behandlung im Unterricht ferner zu sein als Ruanda.

Auch der damalige Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine sah eher die Kosten als den Nutzen, während Amtsinhaber Helmut Kohl den ängstlichen Westlern versprach, die Einigung aus der Portokasse zu zahlen. Als der Osten dann offen war, zogen viele Glücksritter aus dem Westen dorthin und drehten den armen Brüdern und Schwestern, die durch günstige Währungsoperationen sehr kaufkräftig waren, alles an, was nicht niet- und nagelfest war.

Die DDR-Wirtschaft wurde von der Treuhand zur Strecke gebracht mit der Folge hoher Arbeitslosigkeit. Das steckt natürlich auch im Bewusstsein unserer östlichen Mitbürger, wenigstens derjenigen, die sich darüber beklagen, auf sie werde nicht gehört, sie spielten politisch keine Rolle. Tja, dummerweise sind sie der BRD beigetreten worden, als diese sich schon im Stadium der Postdemokratie befand, und da spielen nur Konzerne oder gut organisierte Interessen eine Rolle. Bis ein Teil von den Ossis dann Zuflucht bei Pegida und ähnlichen Organisationen fanden, zuletzt bei der AfD. Die kümmert sich auch nicht um Ostbelange, bedient aber Ängste und gibt vor, mit dem Kampf gegen die Zuwanderung die vermeintlichen Konkurrenten um staatliche Wohltaten ausschalten zu können.

Conrad Goerg, Bad Ems

Schubladendenken

„In der Diskursfalle“, taz vom 22. 9. 18

Ich verstehe die Argumentation des Artikels nicht. Linken wird ständig vorgeworfen, negative Aspekte von Einwanderung nicht sehen zu wollen. Das entbehrt jeder Grundlage. Die Diskursmuster sind einfach grundverschieden: Wie soll man denn mit Menschen sprechen, die Probleme nur rassistisch herleiten? Wir haben schon unter Deutschen Kriminalitäts- und Integrationsprobleme. Es wäre also völlig weltfremd, damit zu rechnen, dass Einwanderer komplett anders wären. Als Gesellschaft müssen wir zwangsläufig mit einem Prozentsatz an gestörten Menschen leben und politische und gesellschaftliche Lösungen dafür finden. Das betrifft Deutsche wie Einwanderer.

Die Menschen regen sich über Kopftuch tragende Frauen auf – in Bayern jedoch hängen in Behörden wieder Kreuze. Das hat mit Religionsfreiheit nichts zu tun! Viele tun genau das, was sie muslimischen Einwanderern ständig vorwerfen: Ablehnung der Trennung von Kirche und Staat, Ablehnung von Sexualkunde in Schulen, Ablehnung von LGBTs und Vorurteile gegen Homosexualität, Ablehnung der Emanzipation – das sind Themen der Konservativen und der AfD. Wie soll man mit Leuten einen Diskurs führen, denen es nicht um Problemlösung, sondern nur um Schubladendenken und Ängste geht?

Im Jahr 2015, als zeitweise viele Einwanderer kamen, hatte ich die stille Befürchtung, unsere Gesellschaft werde innerhalb der nächsten 20 Jahre konservativer werden, da viele Einwanderer einfach konservativere Traditionen besitzen. Ich bin jedoch schnell eines Besseren belehrt worden: Innerhalb von drei Jahren kippte unsere Gesellschaft nach rechts außen: nicht durch Einwanderer, sondern durch Deutsche. Und das ohne Wirtschaftskrise! Christine Zander, Hamburg

Futter auf Krankenschein

„Leberwurst für alle“, taz vom 2./3. 10. 18

Das lässt mich schmunzeln und gleichzeitig erschaudern. Schmunzeln, weil mit dem auf dem „Privatpatiententablett“ drapierten „Privatpatientenfutter“ bei den Menschen der Eindruck erweckt werden soll, dass sie als Privatpatienten wirklich der besserer Teil der Menschheit sind und besser versorgt werden müssen. Erschaudern deshalb, weil das, was auf beiden Tabletts liegt, im wahrsten Sinne des Begriffes „Futter“ ist, das Menschen nicht nur am Gesundwerden hindert.

Die Patienten können froh sein, wenn ihnen diese Art von Nahrungsmitteln nicht noch zusätzlich zu ihrer bereits bestehenden Krankheit „was tut“. Es sind eben nur Nahrungsmittel, keine Lebensmittel, also keine „Mittel zum Leben“. Erstaunlich ist das alles nicht, rechnet sich ein Unternehmen „Krankenkasse/Krankenversicherung“ nur dann, wenn „Kundschaft“ bestehen bleibt – wenn man dafür Sorge trägt, dass Menschen auch immer wieder regelmäßig krank werden. Das ist bei einer solchen Art „Essen“ auf jeden Fall möglich.

Das Einzige, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann: Weshalb lassen Chefärzte sich so etwas vom Management ihrer Klinik bieten – wenn sie doch das Wohl ihrer Patienten im Blick haben (sollten). Ralf Hilbert, Berlin

Die Ave-Maria-Beter

„Mahnen, wachen, hetzen“, taz vom 26. 9. 18

Ist es nicht rechtswidrige, sogar strafbare Nötigung, wenn „besorgte“ Bürger sich zusammentun und korrekt handelnde Mitmenschen (darunter schwangere Frauen) durch gruppenweise physische Präsenz einzuschüchtern und abzuhalten versuchen, eine legale Beratungsstelle (Pro Familia) aufzusuchen?

Begnügen sich die Mahnwacher mit Ave-Maria-Beten und Plakatehochhalten, oder reden sie die Rat suchenden Frauen zusätzlich an?

Vielleicht können sich die Pro-Familia-Besucherinnen per Internet verabreden und gemeinsam kommen, ebenfalls gruppenweise. Gemeinsamkeit macht stark. Nervenstarke Blockadebrecherinnen können eventuell, ohne die Mahnwacher anzusprechen, die Plakate verspotten, natürlich nur formalästhetisch, keinesfalls inhaltlich! Helmut Geißlinger, Rendsburg